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Kuba – Internationalismus und Macht des Volkes. 50 Jahre kubanische Revolution


Von Georgina Alfonso González

Georgina Alfonso González arbeitet als Professorin für Philosophie an der Universität Havanna und ist stellvertretende Leiterin des kubanischen Instituts für Philosophie

Georgina Alfonso Gonzáles

Am Ende dieser Reise steht der Horizont. Am Ende dieser Reise brechen wir von neuem auf. Am Ende dieser Reise beginnt ein neuer Weg, ein neuer Guter Weg. "So haben die jungen Leute mit Silvio Rodríguez gesungen, geträumt und es erlebt, als sie die kubanische Revolution 1959 begannen. Als sich nach dem Niedergang des Sozialismus in Europa Voluntarismus, Nihilismus, Pessimismus und Individualismus im Menschlichen Zusammenleben breitmachten, wurde der kapitalistische Triumphalismus stärker.

Man proklamierte das Bild des unterdrückten Subjekts und die Unmöglichkeit von Lebensalternativen. Wir Kubaner haben trotz der Enttäuschung weiter gekämpft, gesungen und gelacht. 2003 sagte Subcomandante Marcos bei dem Treffen zur Verteidigung der Menschheit, es stimme nicht, "daß wir verloren haben". Und vor allem stimme nicht, "Daß sie gewonnen haben".
Heute, nach 50 Jahren revolutionäre Entwicklung, bewahren wir uns den Tatendrang und unser menschliches Herz. Für das kubanische Volk war die Revolution die einzige und unausweichliche Alternative, um materielle und geistige Armut zu überwinden.

Die Revolution wurde zu verschiedenen Zeitpunkten in der Geschichte Kubas in Angriff genommen – 1868, 1878, 1895, 1933 und 1953, aber erst 1959 erfolgreich abgeschlossen. Sie beruhte stets auf einer Ethik und Politik, die die gesellschaftliche Praxis und das konservative Denken in Frage stellten. Kämpfe, Leidenschaften und Emotionen haben ein gemeinsames, kritisches Bewußtsein der Kubaner hervorgebracht. Es sind eine Ethik und Politik entstanden, die darauf zielen, das Lebensgefühl des Volkes im Einklang mit der gesellschaftlichen Verantwortung und mit revolutionärem Bewußtsein umzugestalten. Bei aller Vielfalt, die wir Kubaner repräsentieren, bei allen tatsächlichen Unterschieden und auch Widersprüchen, gibt die Revolution uns einen kulturellen Lebenssinn, der auf Einheit und Vielfalt aller Einzelnen und zugleich zugleich auf einer universellen menschlichen Perspektive basiert. (...)

Neue Herausforderungen

Die Revolution ist ein Prozeß der fortlaufenden Umgestaltung der Realität, des Bewußtseins, des Verhaltens der Männer und Frauen, die sie hervorgebracht haben. In der kubanischen Revolution verbinden sich revolutionäres Schöpfertum und kritisches gesellschaftliches Gedankengut, das jedoch nicht auf Ressentiments beruht, sondern auf Reflexionen des gesellschaftlichen Lebens und auf dessen Analyse. Die Kubanerinnen und Kubaner haben die Verantwortung zur Veränderung ihres eigenen Schicksals übernommen und einen neuen Lebenssinn geschaffen, bei dem die kritischen und schöpferischen Fähigkeiten aller Männer und Frauen voll zum Tragen kommen. Denn es kommt nicht darauf an, was wir machen müssen, sondern darauf, was wir machen können – als Menschen. Das ist ein Lebenssinn, der die Achtung der individuellen und kollektiven Würde bewahrt. (...) Das Wesen des revolutionären Prozesses, die Strategie bestand darin, daß das Volk zum Akteur wird, daß der Mensch im Zentrum aller gesellschaftlichen Bemühungen steht.

Was bedeutet Revolution im aktuellen kubanischen Kontext? Die Gesellschaft in Kuba steht aufgrund der historischen Gegebenheiten vor neuen Herausforderungen. Dabei gibt es verschiedene Bezugspunkte. Einerseits wollen und müssen wir das sozialistische Projekt voranbringen, d.h. soziale Emanzipation, menschliche Würde und nationale Unabhängigkeit wahren. Andererseits müssen wir uns in das kapitalistische Weltwirtschaftssystem einfügen, ohne unsere Souveränität und die Autonomie des Volkes aufzugeben. Beide Aspekte ergänzen sich zwar, bezeichnen aber auch Widersprüche – schon deswegen, weil es sich um unterschiedliche Gesellschaftssysteme handelt. Auf der einen Seite steht der Kapitalismus, der nicht aufhört, seine absolute Macht und Kontrolle über die natürlichen Ressourcen zu sichern und uns ein tödliches Embargo auferlegen will, auf der anderen Seite der Sozialismus, der noch größere Aufgaben bewältigen und dafür sorgen muß, daß er nicht umkehrbar und vom internationalen Kapitalmarkt vereinnahmt wird.

Die Diskussion in Kuba über die Revolution ist eine kritische Reflexion unserer jungen Realität, der historischen Ziele und unserer neuen Aufgaben zur Integration und Transformation der Gesellschaft. Es ist eine Debatte, an der sich das gesamte kubanische Volk beteiligt und dabei sein Recht auf Emanzipation verteidigt. Diese Debatte markiert eine Vertiefung der Theorie und ein neues kollektives Nachdenken über die Veränderungsmöglichkeiten der Gesellschaft. Sie ist unerläßlich, denn sie kennzeichnet den Sozialismus erneut als revolutionäre Utopie, als reale menschliche Möglichkeit, in einer solidarischen Gemeinschaft miteinander zu leben, in Gleichheit und Würde.

Schnelle Veränderungen

Der Schock über den Untergang des europäischen Sozialismus ist vorüber, aber die Auswirkungen und die Aggressivität des globalen Marktes auf den Alltag sind Realität. Das Bewußtsein, nicht vor der dominierenden, diskriminierenden, patriarchalischen und räuberischen kapitalistischen Macht aufzugeben, ist tagtäglicher kubanischer Widerstand. Die Sorge um das Leben des kubanischen Volkes ist die wesentliche Grundlage für ein weiters Nachdenken der Revolution.

Die Situation im Land ist sehr kompliziert. Es gibt schwindelerregende wirtschaftliche und soziale Veränderungen, oft zusammenhanglos und ohne präzise Systematik, so daß sie kaum von allen mit dem täglichen Leben verbunden werden können. Es gibt Entscheidungen, die für die Kontinuität der Entwicklung nötig sind, die aber oft nicht mit sozialistischen Idealen übereinstimmen. Dazu gehören z.B. die Öffnung gegenüber dem ausländischen Kapital, die Förderung bestimmter Wirtschaftssektoren mit großen sozialen Auswirkungen wie des Tourismus, der Biotechnologie und der Energiewirtschaft, die Übergabe von Land an Genossenschaften oder an Familien, um die landwirtschaftliche Produktion zu stimulieren und zu reorganisieren, die Dezentralisierung von Verwaltung und Unternehmen einerseits, andererseits wieder deren Zentralisierung, die Umgestaltung des Schulsystems und anderes.

Der Ideenreichtum des kubanischen Volkes ist nicht darauf begrenzt, daß wir nur einen nationalen und kulturellen Widerstand leisten aufgrund von Überzeugungen aus der Vergangenheit. Das kubanische Volk spürt die Notwendigkeit, die historische Verwirklichung des nationalen Projekts fortzuführen. Es gibt daher zahlreiche Fragen zur Einheit es Volkes im aktuellen geschichtlichen Prozeß: Wie werden die verschiedenen privaten und kollektiven Identitäten definiert und wie entstehen sie im alltäglichen Leben? Welche Hindernisse gibt es für die Anerkennung der sozialen Vielfalt und wie können diese Hindernisse von den Akteuren selbst überwunden werden? Was sind die Grundlagen für die Umgestaltung des gesellschaftlichen Bewußtseins, für die Einheit des Handelns der verschiedenen Akteure? Die Einheit war die wesentliche Voraussetzung für unser Überleben als Nation und als soziales alternatives Projekt gegenüber dem Kapitalismus. Fidel Castro sagte einmal an der Universität Havanna, als er dort 2005 mit den Studierenden sprach: "Es macht nichts, wie unterschiedlich wir im einzelnen sind, sondern es kommt darauf an, daß wir alle zusammen wie eine Person handeln."

Die Einheit zum Wohle unseres Vaterlandes, der Revolution und es Sozialismus bedeutet weder Homogenisierung der Verschiedenheit, Egalisierung als Steuerung des gesamten kollektiven Reichtums noch Angleichung zwischen Individuen, Kollektiven, Gruppen, sozialen Sektoren und der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu identischen Perspektiven. Die wirkliche Einheit des Volkes beginnt, wenn das Leben aller Kubanerinnen und Kubaner sich nach den Kriterien des Respekts und der sozialen Gerechtigkeit verändert, d.h. mit der Beseitigung gesellschaftlicher Ungleichheiten, die mit Machtmißbrauch und diskriminierenden Vorurteilen, die die Unterschiede verschärfen und andere Identitäten, die die Ungleichheiten nicht hinnehmen, ablehnen. Darauf kommt es an.

Ideal und Realität

Leider wurde in der historischen Erfahrung des Sozialismus oft übersehen, daß der Sozialismus auf der Befriedigung der Grundbedürfnisse des Volkes und dem Wunsch nach individueller und kollektiver Verwirklichung beruht. Der Versuch, den Sozialismus aufzubauen, ohne die Bedürfnisse und Interessen der Gesellschaft und der Menschen zu beachten und ohne den Kontext zu sehen, in dem sich der Alltag der Männer und Frauen entwickelt, die die sozialistische Gesellschaft errichten, führt zum Mißlingen, und das Idealbild gerät in Mißkredit. Der Sozialismus setzt die menschlichen Veränderungsfähigkeiten frei und gibt ihnen einen kollektiven humanistischen Inhalt. Deshalb ist er kritisch und schöpferisch. Die sozialpolitische Einheit entspricht auch der Fähigkeit, die alltägliche Praxis und übliche Beziehungen zu ändern, damit es kritisch und schöperisch zugehen kann.

Was ist zu tun, damit Kritik nicht zur sterilen Reinigung und das Schöpfertum nicht entfremdet wird? Die sozialistische Revolution beginnt, wenn in der Produktion und Reproduktion des Lebens ein Zugehörigkeitsgefühl zur Gemeinschaft entsteht, und zwar aus der eigenen Identität heraus, aus der persönlichen und kollektiven Zufriedenheit über die gemeinsame Arbeit, aus der gesellschaftlichen Anerkennung des für die gesamte Gesellschaft Produzierten; gesellschaftliche Produktion und Reproduktion von Beziehungen und Praktiken, durch die menschlich sensible Mechanismen ausgelöst werden, die den Menschen ein gemeinsames Glücksgefühl vermitteln, ganz anders als es das Kapital in unser Leben tragen könnte.

Die Debatte über den Sozialismus ist manchmal nicht frei von idealistischer Rhetorik, die den Bezug zur realen und konkreten Praxis verliert. Nur in der Einheit von Praxis und Theorie, von Handeln und Nachdenken können die notwendigen und möglichen Veränderungen bewirkt werden, um die Revolution am Leben zu erhalten.

Reale Utopien

Trotz aller Vorhersagen strahlte die kubanische Revolution auf den ganzen lateinamerikanischen Kontinent und auf die Welt aus. Ihre Grundsätze, Werte und Ideale haben sich vervielfältigt, gleichzeitig wurde sie um Kenntnisse, Traditionen und Lebenserfahrungen bereichert, die uns wegen der vom US-Imperialismus und den lateinamerikanischen Marionettenregierungen aufgezwungenen Isolierung unbekannt waren.

Die Kämpfe und der Widerstand der sozialen Volksbewegung in Lateinamerika haben die Hegemonie des US-Imperialismus gebrochen. Es gibt als neues politisches Phänomen in der Welt eine breite alternative Globalisierungsbewegung, die in vielen Kämpfen und Gegenwehreaktionen sichtbar wird und im Weltsozialforum in Porto Alegre und seinen nachfolgenden regionalen und weltweiten Treffen zusammenfindet. Neue Regierungen treten auf unserem Kontinent hervor und verändern das geopolitische Feld zugunsten der lateinamerikanischen Völker. Unter diesen Umständen gibt es auf dem ganzen Kontinent immer mehr Interesse an der kubanischen Revolution und am Sozialismus, und bei vielen Versuchen sind antikapitalistische Ziele zur gesellschaftlichen Veränderung in die Strategie eingeflossen.

Was bedeutet die kubanische Revolution für Lateinamerika und die Welt heute?
Für das kubanische Volk ist sie die größte Herausforderung. Es hat begonnen, den Glauben an die Idee des Sozialismus zu stärken, dessen historischen Horizont aufzuarbeiten und vor allem seinen emanzipatorischen Charakter zu bekräftigen.
Der Sieg der kubanischen Revolution hat den Begriff des Sozialismus geändert. Er hieß nun Aufbau, Vergesellschaftung und kollektive Beteiligung aus dem Volke heraus. Die Volksmacht wurde geschaffen mit wachsender Mitbestimmung und neuer Art der bewußten Beteiligung mit den Menschen im Mittelpunkt. Sie schuf die Demokratie des kollektiven Subjekts, machte aus dem Alltäglichen eine heldenhafte Handlung engagierter Männer und Frauen, die sich für den Aufbau des Sozialismus verantwortlich fühlen. Gleihzeitig stärkte sie die Fähigkeit, dem Gedanken entgegenzutreten, das Leben sein nicht zu ändern, und daß die kubanische Revolution "Unmögliches" probiere.

Seit 50 Jahren erleben wir Kämpfe, Leidenschaften, Hingabe, um mögliche und reale Utopien für ein menschenwürdiges Leben fortzuschreiben: gleiche Chancen für den Beruf, für Gesundheit, Bildung, Wohnung und Nahrung, für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung und historischer Verpflichtung, die nicht mit Ausschluß und Diskriminierung vereinbar sind. Wir üben Solidarität und stärken die Einheit der fortschrittlichen Kräfte in der ganzen Welt. Es gibt keinen wirklichen Sozialismus, wenn wir, die wir uns für ihn einsetzen, nicht ein neues Bewußtsein entwickeln zugunsten einer neuen brüderlichen "zärtlichen", wie Che Guevara sagte, Haltung gegenüber der Menschheit, gegenüber allen Völkern, die unter imperialistischer Ausbeutung leiden.

Solidarität

Internationalismus und Solidarität zwischen den Völkern sind mehr als Überlebensstrategien. Es sind Prinzipien des Kampfes gegen die Vorherrschaft und Ausbeutung des globalisierten Kapitalismus. Sie entstehen aus dem täglichen Widerstand und werden zu Formen der gesellschaftlichen und politischen Organisation. Wenn die herrschende Macht Fragmentierung und Vergessen erzeugt, sind Solidarität und Internationalismus notwendig, um die Netzwerke kollektiver Arbeit zu stärken und weiter Hand in Hand zu gehen, um Brücken für das Zusammenleben zu bauen.
Die Solidarität ist der Garant für die Einheit und die Achtung der Vielfalt innerhalb dieser Einheit. Sie ist Bezugspunkt für die Wiederherstellung des sozialen Gewebes, das vom bürgerlichen Individualismus zerstört worden ist, und für Kommunen, Regionen und Nationen, um die vom Kapitalismus aufgezwungene, politische, soziokulturelle und ökologische Fragmentierung überwinden zu können. Solidarität heißt, an den anderen und die anderen denken, für sich und die anderen zu handeln und im Sinne des gemeinsamen Wohls zu denken. Die kubanische Revolution ist ein würdiges Beispiel des Aufbaus auf der Grundlage der Solidarität.

Wir haben in diesen 50 Jahren auch widerstanden und gekämpft dank der Solidarität der fortschrittlichen Kräfte der Menschheit, die in ihren Kämpfen die bedingungslose Unterstützung der kubanischen Revolution zum Hauptziel gemacht haben. Dank der internationalen Solidarität haben wir der Blockade getrotzt, der imperialistischen Maschinerie, mit der die Erfahrung eines Volkes erstickt werden sollte, das sein eigenes Schicksal in die Hand genommen hat, und die all jener, die glauben, daß eine andere Welt möglich ist.

Viel ist in der Zeit der lateinamerikanischen Guerillakämpfe darüber spekuliert worden, ob Kuba seine Revolution exportieren würde. Heute gibt es keine Guerilla mehr und der Haß der konservativen Rechten auf die kubanischen Ärzte, Lehrer, Sportfunktionäre, Wissenschaftler und Künstler, die in entfernten und vergessenen Winkeln arbeiten, ist oft genauso groß, wie der Haß auf die Guerrilla. Nun ist es ein Krieg der Gedanken und Werte, der Ideen, die sich in Aktionen und Gesten vervielfältigen. Ein menschenwürdiges Leben, ein solidarisches, gerechtes Leben, denken, entwickeln und erwünschen, das war der machbare Traum der kubanischen Revolution.

Es ist nicht leicht. Stets ist der Feind da und will unseren Schritt bremsen, mit dem wir unterwegs sind, um unser Ziel zu erreichen, immer in der Sorge um einen Irrtum, der unseren Traum lähmt. Träumen und sich irren ist menschlich. Es hilft weiterzudenken, zu wünschen und zu handeln, um das eigene Leben und das Leben der anderen zu verändern. Die kubanische Revolution für das Leben des kubanischen Volkes und der gesamten Menschheit. Wir haben das Recht, sie zu erträumen, aber wie Martí sagte. "Niemand kann etwas erreichen, wenn wir es nicht gemeinsam tun."

28.01.2009 junge Welt junge Welt



Kuba auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz





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