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Integrationsprozesse im sich verändernden Lateinamerika
Die derzeitige internationale Lage birgt neue Herausforderungen für den emanzipatorischen Kampf der Völker und insbesondere für die Transformation und Integration Lateinamerikas zur Überwindung der Unterentwicklung und für den gesellschaftlichen Fortschritt.
Die Lage in Welt ist gekennzeichnet von einer immer intensiveren ökonomischen Internationalisierung unter der Ägide der Liberalisierung der Finanzströme, was den Kapitalismus nicht aus seiner Krise herausbringt, sondern im Gegenteil diese noch verschärft. Die "New Economy", die von den Apologeten des Kapitalismus noch vor fünf Jahren als Wendepunkt zu einem langen Wachstumszyklus besungen wurde, hat komplett versagt. Eine Krise löst die nächste ab: von Mexiko über Asien, Russland, Brasilien, Argentinien bis hin zur gegenwärtigen gleichzeitigen ökonomischen Rezession im Dreigestirn des Kapitalismus: den Vereinigten Staaten, Europa und Japan.
Die Völker der Welt sind konfrontiert mit einer jedes Maß überschreitenden Offensive des US-amerikanischen Imperialismus, der auf weltweite Hegemonie zielt. Wir befinden uns unter der Herrschaft einer Supermacht, die beschlossen hat, ihre Hegemonie durch Militarisierung und Krieg gegen souveräne Völker und Nationen zu festigen. Die Bedrohungen der Sicherheit der Völker und des Friedens sind immens geworden.
Die Regierung der Vereinigten Staaten hat den Krieg ins Zentrum ihrer internationalen Aktivitäten gestellt und Diplomatie, Dialog sowie multilaterale Mechanismen hintenangestellt. Die USA haben mit dem Irak ein souveränes Land besetzt, um sich dessen wichtigsten Reichtum anzueignen, das Erdöl, und aufgrund der strategischen Rolle, die der Mittlere Osten und Zentralasien in ihren Weltherrschaftsplänen besitzen. Genau aus diesem Grund proklamiert der nordamerikanische Imperialismus nun, nach der Wiederwahl von George W. Bush, die politische "Reform" im Mittleren Osten zu einem der wichtigsten außenpolitischen Ziele in seiner zweiten Amtszeit. Die Hinweise verdichten sich, dass der Druck auf den Iran und auf Syrien erhöht werden soll. Bushs Wiederwahl wirkt sich äußerst negativ auf die internationale Lage aus und ist ein Zeichen für die Schwierigkeiten in der Entwicklung von Demokratie und nationaler Souveränität weltweit.
In Lateinamerika, wo ein anhaltender Fortschritt im demokratischen Kampf gegen den Neoliberalismus zu beobachte ist, verfolgt der nordamerikanische Imperialismus folgende Ziele: Verhinderung des Integrationsprozesses der lateinamerikanischen Länder, insbesondere eine Erweiterung des Mercosur, intraregionale Zwistigkeiten insbesondere zwischen Brasilien und Argentinien, ein eigenes neo-kolonialistisches Projekt in Gestalt von ALCA, die Schwächung des revolutionären Kuba, die Sabotage der Bolivarianischen Revolution in Venezuela, die Lösung des Konflikts in Kolumbien, zunächst durch Aufrüstung der dortigen Armee und Vernichtung der Guerilla, immer aber auch mit der Option eigener militärischer Intervention.
Das Kräfteverhältnis
Aus der Perspektive der revolutionären Kräfte sind die Kräfteverhältnisse noch immer höchst unvorteilhaft. Noch immer spüren wie die Auswirkungen der historischen Niederlage des Sozialismus. Wir befinden uns inmitten eines langfristigen konservativen Zyklus, der seinen Anfang in den Achtzigerjahren hat, mit der Regierung Reagan in den USA und Thatcher in Großbritannien, einen ersten Höhepunkt mit dem Zusammenbruch der UdSSR und anderer osteuropäischer Länder in den Neunzigerjahren erreichte, und weiter anhält. Die "orange" Konterrevolution in der Ukraine, ja selbst der erneute Sieg von Bush in den USA sprechen dafür, dass wir uns weiter unter dem Einfluss dieser lang anhaltenden konservativen Welle befinden. An diesem Stand muss das Szenario internationaler Zusammenarbeit ansetzen; es ist dies die Situation in der sich die revolutionären Organisationen anschicken müssen, eine konkrete Alternative zu suchen und die strategische Bündelung der Kräfte anstreben zu müssen, in einer Zeit, in der große Umwälzungen sich allenfalls zusammenbrauen können, mehr nicht. Die genaue Kenntnis dieser Realität verbietet abenteuerliche oder voluntaristische, aber auch reformistische Illusionen. Dies ist der Kern der Debatte der revolutionären Kräfte, insbesondere der Kommunisten.
Unter diesen Bedingungen ungleicher Kräfteverhältnisse akkumulieren sich auch die objektiven Faktoren für den transformatorischen, revolutionären Sprung. So war es immer in der Geschichte der politischen, ökonomischen und sozialen Umwälzungen. Wir haben eine optimistische historische Vision von der Entwicklung der Dinge. Die politischen und sozialen, die demokratischen Kämpfe verschärfen sich, die Kämpfe um nationale Selbstbestimmung und Frieden weltweit. Die Friedensbewegung kann, wenn sie sich in die Breite entwickelt, zum großen Auslöser eines antiimperialistischen Kampfes werden, denn sie entspricht einer Antwort der Völker auf die Kriegspolitik, den Kern des US-amerikanischen Imperialismus. Ebenso verschärfen sich die demokratischen Auseinandersetzungen um die "Anti-Terror-Gesetze" sowie die wiederaufflammenden Kämpfe der Arbeiterschaft und der Gewerkschafter gegen die antisoziale und liberalistische Politik der kapitalistischen Regierungen. Bemerkenswert ist die Entwicklung einer Opposition gegenüber der kapitalistischen Globalisierung, für die als Symbol das Erstarken des Weltsozialforums und seiner regionalen Verästelungen steht. Ein Faktor des Kampfes gegen den Imperialismus ist der irakische Widerstand, der sich beständig entwickelt. Ebenfalls auf dem Gebiet der Opposition gegen den nordamerikanischen Imperialismus muss auf den kubanischen Widerstand hingewiesen werden, auf die jüngsten Niederlagen der Konterrevolution in Venezuela und das bislang nich Zustandekommen der Amerikanischen Freihandelszone (ALCA) dank der Opposition der lateinamerikanischen Völker, sowie auf der anderen Seite die fortschreitende Integration Südamerikas, auf die die Regierung Lula ihre diplomatischen Bemühungen konzentriert. Ein Zeichen des Widerstandes ist auch die Auseinandersetzung der argentinischen Regierung mit dem Weltwährungsfonds. Auf internationaler Ebene darf die Zunahme der innerimperialistischen Widersprüche in Folge der kriegerischen und hegemonistischen Expansion der Vereinigten Staaten nicht unterschätzt werden sowie das wirtschaftliche und politische Erstarken Chinas, eines sozialistischen Landes mit eigenen Besonderheiten.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der antiimperialistische Kampf sich entwickelt und auf verschiedenen Gebieten an Kraft gewinnt, wobei, auch wenn sie derzeit keine gemeinsame Plattform bilden, folgende Faktoren eine besondere Rolle spielen: der Kampf für Frieden und gegen den imperialistischen Krieg, der Kampf breiter Volksmassen für die Erweiterung und des Ausbau der Demokratie, der Kampf um nationale Selbstbestimmung, die von neoliberalen Politikansätzen und der Offensive der Vereinigten Staaten beschnitten wurde, der Kampf zur Verteidigung der Rechte der Arbeiter und des Volkes, welche von den überall herrschenden neoliberalen Kräften in Frage gestellt werden, der Kampf für die Entwicklung und solidarische regionale Integration vor allem der unterentwickelten Länder. All diese Kämpfe können noch an Kraft gewinnen, wo immer man von der Linie der Einheit, der Einheitsfront und der Orientierung auf die Massen ausgeht.
Schließlich stellt sich aus dem Blickwinkel der Kommunisten die Frage des Kampfes für eine sozialistische Perspektive und das Wiederherstellen kommunistischer Parteien sowie die Verteidigung ihrer Identität unter den gegenwärtigen Bedingungen. Denn ohne kommunistische Partei, die in jedem Land eine kraftvolle politische Arbeit entwickelt, und ohne dass die kommunistische Partei bei breiten Teilen der Bevölkerung Anerkennung genießt, kann keine neue Perspektive eröffnet werden.
Die Integration Südamerikas
Auf internationaler Ebene haben die regionalen Integrationsprozesse zunehmende Bedeutung erlangt. Diese Integrationsprozesse stehen auf der einen Seite unter der Ägide der großen kapitalistischen Mächte, wie etwa im Fall der Europäischen Union, der NAFTA (USA, Kanada, Mexiko) sowie der von den USA vorangetriebenen Gründung einer amerikanischen Freihandelszone (ALCA), eines unter der Hegemonie der USA stehenden Panamerikanismus. Auf der anderen Seite gibt es einzelne Fälle, in denen der Versuch zur Bildung regionaler Blöcke von Entwicklungsländern ausgeht, wie im Falle des Mercosur (Gemeinsamer Markt des Südens Südamerikas), der ALADI (Lateinamerikanische Assoziation der Südamerikanischen Ländern mit Mexiko und Kuba) sowie ähnlichen Blöcken in Asien.
Diese verschiedenen Integrationsprozesse sind Ausdruck gegenwärtige Kämpfe zwischen den großen kapitalistischen, imperialistischen Mächten um die Kontrolle und die Herrschaft über Absatzmärkte und Wirtschaftsräume in der Welt, und zugleich sind sie Beleg für den Widerstand sich entwickelnder Länder gegen die kapitalistischen Metropolenländer in Hinblick auf die Expansion ihrer Märkte und ihre Befreiung von hegemonistischen Wirtschaftsbeschränkungen sowie die Suche nach entwicklungspolitischen Alternativen. Dies ist ein Kampf der Entwicklungsländer gegen die ständig sich verstärkende Tendenz der imperialistischen Länder, Regeln des "freien Marktes" aufzustellen, die in Wirklichkeit protektionistische Funktion haben und die Funktion, regionale Zusammenschlüsse unter ihrer Kontrolle zu halten.
In Lateinamerika hat das Zustandekommen von Regierungen, die sich der Veränderung Neoliberaler Praxis verschrieben haben, die nationale Frage erneut auf die Tagesordnung gebracht und zu einem demokratischen Fortschritt geführt, der auch dem Integrationsprozess neue Dynamik verleiht – vor allem in Südamerikanischen Ländern. Hinzu kommt die Bewegung für eine neue und zeitgemäße Süd-Süd-Allianz der sich entwickelnden Länder mit wichtigen Initiativen wie die kürzlich abgehaltene 11. UNCTAD-Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung in Sao Paolo, die Ausarbeitung einer allgemeinen Handels- und Preispolitik der Entwicklungsländer SGPC, die G 77 (Zusammenschluss der Entwicklungsländer) sowie die Bewegung der Blockfreien, die Wiederbelebung der "Rio-Gruppe" (Argentinien, Brasilien und Chile) die Bildung des IBAS-Forums (Indien, Brasilien und Südafrika) und, im Falle Brasiliens am wichtigsten, die Neuauflage und Erweiterung des Mercosur sowie die Gründung der G 20 innerhalb der WTO, an denen Brasilien beteiligt ist.
Ein wichtiger progressiver Aspekt der Regierung Lula war, die Integration Südamerikas zur Priorität seiner Außenpolitik zu erklären. Diese Integration ist auch von grundlegender Bedeutung für die Binnenentwicklung, und die Wiederbelebung des Mercosur als südamerikanischem Integrationspol, welcher den Anschluss an die unter nordamerikanischer Vorherrschaft stehende Freihandelszone entgegensteht. Dieser geopolitische Ausgleich hat bis jetzt funktioniert. Ein wichtiger Schritt war der brasilianische Vorschlag einer Wiederbelebung des Mercosur innerhalb des Arbeitsprogramms dieser Organisation für den Zeitraum 2004-2006 auf den Gebieten des Handels und der Ökonomie, des Energiesektors, der Wissenschaft und Technologie sowie auf sozialem Gebiet und in Fragen der Institution selbst. Der Vorschlag wurde auf der Versammlung in Montevideo im Dezember 2003 angenommen. In dieser Hinsicht entfaltet die brasilianische Diplomatie rege Aktivität unter der aktuellen Regierung, welche gemeinsam mit Venezuela und Argentinien die treibende Kraft dieses Integrationsprozesses ist.
Mercosur stellt einen Integrationsprozess, der Länder Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay dar, der am 26. März 1991 mit der Unterschrift der Vereinbarung von Asunción initiiert wurde. Heute versucht Mercosur sich als Zollunion zu konsolidieren, deren oberstes Ziel die Entwicklung eines gemeinsamen Binnenmarktes ist, bis hin zu einer gemeinsamen Währung. Mercosur umfasst ungefähr 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes Südamerikas.
Auf der Versammlung der Führung des Mercosur im vergangenen Dezember in Ouro Preto, Brasilien, trafen sich neun Staatspräsidenten, dreizehn Außenminister und neun Repräsentanten von Ländern oder regionaler Zusammenschlüsse. In Sinne einer Zollunion wurde die allgemeine Abschaffung der Doppelbesteuerung vereinbart. Hierzu wurden eine Reihe von Entscheidungen getroffen, wie beispielsweise die Schaffung eines Strukturanpassungsfonds, die Reglementierung von Regierungskäufen, die Schaffung von Beratungsgremien der Landkreise, Bundesländer, Provinzen und Departements des Mercosur bis 2006. Der brasilianische Außenminister Celso Amorim bezeichnete diese Versammlung als einen historischen Moment in der regionalen Integrationspolitik, da Venezuela, Ecuador und Kolumbien sich als assoziierte Mitglieder dem Mercosur anschlossen, wie dies bereits Bolivien, Chile und Peru getan haben.
Mercosur besteht aus vier Vollmitgliedern und sechs assoziierten Mitgliedern – ein großer Schritt zur Stärkung der kürzlich gebildeten Gemeinschaft südamerikanischer Nationen und ein Faktor der Suche nach eigenständiger Entwicklung dieser Länder in einer neuen Phase der Region. Für unser Volk und die Regierung Lula wird immer greifbarer, dass die regionale Integration ein Ziel und eine strategische Option ist. Dieses Ziel steht im Gegensatz zu Hegemonialbestrebungen der großen Mächte, vor allem des nordamerikanischen Imperialismus. Das neue internationale Szenario stellt verschiedene Herausforderungen und Probleme an die Integration Lateinamerikas, einen Kampf von strategischen Dimensionen, der sich auf den Widerstand gegen annexionistische Bestrebungen konzentriert, die ihrerseits ihren Ausdruck in der angestrebten amerikanischen Freihandelszone unter der Führung Nordamerikas findet, welche auf Verhältnissen der Ungleichheit und Unterordnung basiert.. Dem gegenüber steht eine solidarische Integration auf der Basis von Solidarität und regionaler Einheit, den Grundprinzipien der Verteidiger einer lateinamerikanischen Integration seit Francisco e Miranda, Bernado O'Higgins, Simón bolivar, Domingos Faustino Sarmiento, José Martí, Baron Rio Branco und anderen.
Die Gemeinschaft südamerikanischer Nationen und ihre Kernbestrebung einer Stärkung und Erweiterung des Mercosur ist in ihrem Umfang eine einzigartige historische Gegebenheit. Das Anwachsen integrationistischer Tendenzen auf dem südamerikanischen Kontinent ist eine grundlegende Komponente des Widerstands gegen die Anmaßungen des nordamerikanischen Imperialismus in Gestalt der geplanten Freihandelszone. Die Verhandlungen sind im vergangenen Jahr ausgesetzt worden und werden im kommenden Februar wieder aufgenommen. Brasilien und andere Staaten des Mercosur sind bei den Verhandlungen der Freihandelszone sowie Vereinbarungen mit der Europäischen Union als Block auftreten: vier Länder des Blocks gegen die Vereinigten Staaten. Aus Sicht der brasilianischen Regierung war dies die angemessenste Form, die Interessen der beteiligten Staaten zu wahren. Selbstverständlich werden die USA weiter insistieren, denn die Freihandelszone beschränkt sich nicht auf die Vereinbarungen eines "freien Handels", der an sich bereits unvorteilhaft ist für alle Länder des amerikanischen Kontinents. Es ist in Wahrheit ein Plan der Kolonisierung Amerikas. Unter den Völkern Lateinamerikas entwickelt sich ein Bewusstsein gegen diese Freihandelszone. In Brasilien ist kürzlich eine so genannte "technische§ Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung beim Planungsministerium bekannt geworden, die der bilateralen Handelsbilanz Brasiliens und der Vereinigten Staaten ein deutliches "Ungleichgewicht " zuungunsten Brasiliens beschleunigte.
Die Regierung Lula
Die Regierung Lula, welche bereits in der Mitte ihrer Legislationsperiode seht, hat große Anstrengungen unternommen, eine neue Außenpolitik zu entwickeln. Sie engagiert sich in der Integration Südamerikas, in deren Mittelpunkt die Wiederbelebung des Mercosut stehen die Bildung strategischer Partnerschaften mit großen Ländern wie China, Indien Russland oder Südafrika, der Annäherung an der afrikanischen Kontinent und arabischen Ländern, der Erweiterung und Diversifizierung des Außenhandels auf der Suche nach augeglicheneren Bilanzen im Handel mit den USA und Europa. Die relative Beteiligung der USA am brasilianischen Markt ist von 26 Prozent in 2002 auf 20 Prozent heute zurückgegangen. Die Exporte der USA in die Europäische Union wuchsen um 32 Prozent. Im Gegenzug wuchs der Handel mit den Ländern Südamerikas um 60 Prozent. Es ist das erste Mal, dass der Handel mit den südamerikanischen Kontinent in absoluten Zahlen stärker wächst als der mit der Europäischen Union. Die Positionierung der brasilianischen Regierung im Sinne einer Bewahrung nationaler Unabhängigkeit gegenüber dem imperialistischen Krieg und der Invasion des Irak, sowie das wachsende Prestige des brasilianischen Präsidenten Lula auf internationalem Terrain schaffen weiterhin bessere Bedingungen für die Bemühungen um Souveränität. Auch die Position der Regierung , die den Interessen der Nation gegenüber der Freihandelszone Priorität einräumt, fügt sich in das Bild einer souveränen Autorität Brasiliens.
Diese vorwärts gewandte und souveräne Außenpolitik steht im Kontrast zu einem Bild im Inneren, wo die Regierung Lula nicht überzeugen kann und keine Kräfte sammeln konnte, um die herrschende Richtung zu durchbrechen, insbesondere nicht die konservative und neoliberale Wirtschaftspolitik. Die paradoxe Realität erfordert ein genaues Verständnis des Kräfteverhältnisses, in welches sich diese neue Regierungserfahrung und die Besonderheiten Brasiliens einfügen. Wie bereits angeführt, ist das Kräfteverhältnis für eine radikale, revolutionäre Alternative noch äußerst ungünstig. In Brasilien hat zwar Lula die Präsidentschaftswahlen mit 60 Prozent der gültigen Stimmen gewonnen, doch die Parteien, die seine Kandidatur unterstützten, konnten gemeinsam keine Mehrheit erringen, weder in der Cámara Federal, der Abgeordnetenkammer, noch im Senat. Die in der Mehrzahl der Länder gewählten Gouverneure, vor allem die der wichtigsten Bundesstaaten, gehören der konservativen Opposition an und der gesamte vorgefundene Verwaltungsapparat hatte bislang die Funktion, Veränderungen zu verhindern. Hinzu kommt, dass Lula, der den Wunsch nach Veränderungen verkörperte, bereits im Wahlkampf Kompromisse im Hinblick auf die bereits unter der Regierung Fernando Henrique Cardoso insbesondere mit dem IWF geschlossenen Verträge eingehen musste.
Insofern handelt es sich um eine Regierung, die unter den herrschenden institutionellen Gegebenheiten gewählt wurde. Sie repräsentiert neue politische, demokratische, patriotische und populäre Strömungen, die mit ihr zum ersten Mal Regierungsverantwortung in der Republik Brasilien übernehmen. Es hat einen politischen Bruch gegeben, der einen neuen Zyklus im Land eröffnet hat, jedoch ohne eine institutionelle Veränderung oder eine radikale Wende. Die Regierung Lula entstand bereits aus der Dualität von Veränderung und Kontinuität unter den Bedingungen eines Kräftemessens mit dem Gegner. Sie übernimmt ein perverses Erbe, ein Land das immer noch den strukturellen Abhängigkeiten des großen transnationalen Finanzkapitals unterworfen ist.
Unter diesen objektiven Bedingungen hat die Regierung ihren demokratischen Charakter behalten. Sie war gezwungen, eine heterogene politische Mehrheit zu ihrer Unterstützung zu gewinnen. Sie gibt ein fortschrittliches Bild in der Außenpolitik ab und zugleich ein Bild im Inneren des Landes, in dem konservative Politik dominiert, obwohl es durchaus Regierungsentscheidungen gibt, die im Gegensatz zu einer Orthodoxen Wirtschaftsorientierung stehen (das Anhalten des Privatisierungsprozesses, Aufwertung der Regulierungsbehörden, neue Energiepolitik die Anwendung einer Industrie- und Technologiepolitik). Diese Situation einer Regierung, die in dem Dilemma steckt, dass sie eine alte Ordnung bewahrt und zugleich neue Wege eröffnet, kennzeichnet die Widersprüche, in denen sie steckt. Wie soll man die Auflagen des IWF erfüllen und zugleich die strukturellen Hindernisse überwinden, die ihren Ausdruck in Außenhandelsdefizit und sozialer Ungleichheit im Land selbst finden?
Von Anfang an hat unsere Partei dafür optiert, die neue Regierung zu unterstützen und sich an ihr zu beteiligen, denn ihre Existenz eröffnete neue demokratische Wege der Selbstbestimmung und der Interessen des Volkes. Wir waren gemeinsam mit der PT die Kraft, die seit 1989 den Kern der siegreichen Allianz zusammenführte. Und wir haben politisches Vertrauen in die Regierung Lula. Wir können unsere Verantwortung angesichts der neuen und schwierigen Herausforderungen nicht abgeben. Unser Engagement in der Unterstützung der Regierung ist bei aller Treue allerdings kein blinder Gehorsam und bedeutet kein blindes Gehorsam und bedeutet keine Enthaltung von jeglicher Kritik oder gegenteiliger Positionierung. Über den Spielraum der neuen Regierung machen wir uns keine Illusionen. Das Programm der PcdoB, das auf den Übergang zum Sozialismus zielt, und das Programm der Regierung sind weit voneinander entfernt. Doch unsere Realität steht gegenwärtig nicht für radikale Lösungen, sondern für die Notwendigkeit, Bedingungen hierfür in einem Prozess der Sammlung von Kräften zu schaffen. Es geht um die Veränderung des Kräfteverhältnisses.
Der Kampf um Veränderung in Brasilien geht über die Regierung Lula. Dieser Kampf ist nicht zu Ende. Wir sind der Ansicht, dass es mittelfristig keine machbare fortschrittlichere Alternative gibt, die in der Lage wäre, neue Wege zu gehen. Daher stellen wir ins Zentrum unserer Taktik (Resolution der 9. nationalen Konferenz am 29. Juli 2003) den Kampf um die Existenz der Regierung Lula unter der Bedingung der Entwicklung von Demokratie und der Übernahme eines nationalen Entwicklungsprojektes, das auf die Verteidigung der Selbstbestimmung und den sozialen Fortschritt des Landes zielt.
Auf der Basis dieser Taktik der Sammlung von Kräften orientieren wir auf Erfolge auf drei miteinander verwobenen Ebenen: Den Kampf der Ideen, in dem es um die Entwicklung fortschrittlicher Ideen und die Überzeugung der Notwendigkeit von Veränderungen inner- und außerhalb der Regierung geht; die Organisation und Mobilisierung breiter Volksmassen; eine breite Koalitionsregierung, mit der Veränderungen erreicht werden können.
Die politische Geschichte Brasiliens zeigt, dass die großen Veränderungen, die das Land erlebte, sich stets in Momenten großer Einheit im Volk ergaben, selbst wenn diese nur Koalitionen heterogener Kräfte darstellten. In einer solchen Situation ist der Schlüssel des Erfolges die führende Kraft. Heute sprechen sich selbst wichtige Kräfte der Wirtschaftseliten gegen die vorherrschende Logik der Finanzwelt aus. Wir wissen, dass die wirkliche Kraft zur Veränderung in der Basis des Volkes steckt, die organisiert werden muss. Die Mittel hierzu müssen in der neuen politischen Konstellation gefunden werden. Die PcdoB verteidigt und stimuliert die Autonomie der Gewerkschaftsbewegung, der Volksbewegungen und Studentenbewegung gegenüber der Regierung. Sie engagiert sich in der Reorganisation der Massenbewegungen und versucht eine Koordination der sozialen Bewegungen zu errichten, welche den Gewerkschaftsdachverband CUT, die Bewegung der Landlosen Arbeiterinnen und Arbeiter MST, die Nationale Union der Studentinnen und Studenten UNE, Basiskirchenbewegungen und verschiedene andere Organisationen einschließt, die im ganzen Land tätig sind.
Im Bewusstsein des Umfangs und der Einzigartigkeit dieser Aufgabe, die sie im politischen Kampf zu bewältigen hat, ist die PcdoP im gesamten Land im Aufwind. Sie wuchs aus der organisierten Aktion, erweiterte ihren politischen Einfluss und konnte wichtige Siege bei den Kommunalwahlen erringen. In diesem Jahr findet der 11. Parteitag der PcdoB statt und die politische Richtung, strategische und taktische Orientierung und die Aktualisierung der Statuten werden in der gesamten Mitgliedschaft diskutiert.
Renato Rabelo / Brasilien
Marxistische Blätter 3-05
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