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»Unsere Länder vereint ein tief verankerter Humanismus«
Kuba und Venezuela trennen unterschiedliche politische Systeme. Trotzdem setzt man auf die Gemeinsamkeiten.
Ein Gespräch mit Eugenio Suaréz Pérez
Eugenio Suaréz Pérez ist Doktor der Geschichtswissenschaften, Autor und Journalist. Er
gibt die Zeitschrift für Gesellschaftstheorie und Politik »Cuba Socialista« der Kommunistischen
Partei Kubas heraus. Zuvor leitete er die Redaktion der Zeitschrift Verde Olivo, des Organs der
kubanischen Streitkräfte. Er veröffentlichte mehrere biografische Bücher über Fidel
Castro
Kuba ist der einzige sozialistische Staat in Lateinamerika und der Karibik. Kuba ist aber auch der
engste Verbündete des bolivarischen Venezuela. Inwieweit stimmen diese beiden Ideologien überein,
Sozialismus und Bolivarismus?
Ich denke, daß zwischen Kuba und Venezuela eine große ideologische Übereinstimmung
existiert, die auch eine lange Geschichte hat. Seit unserem Unabhängigkeitskampf gegen den
Kolonialismus der spanischen Krone vereinigt uns das Denken von Simón Bolívar und
José Martí, den Vordenkern beider Revolutionen. Die Übereinstimmung zwischen beiden
Prozessen besteht darin, daß sie jeweils von einem tief verankerten Humanismus geleitet werden. Auf
ihm basiert das gemeinsame Streben nach sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit. Kurzum: Unsere
Gemeinsamkeit liegt heute in der antiimperialistischen Haltung, in der Solidarität und in dem Willen
zur regionalen Integration beider Staaten.
Was erhoffen Sie sich von der regionalen Integration?
Seit dem 19. Jahrhundert steht die Idee einer integrativen Zusammenarbeit der lateinamerikanischen
Länder im Zentrum des intellektuellen Denkens in Kuba und Venezuela. Bolívar war der erste,
von dem die Vorstellung des »großen Vaterlandes« propagiert wurde. Martí folgte dieser
Vorgabe, als er den bolivarischen Traum aufgriff und für »unser Amerika« kämpfte. Für uns
sind diese Vorgaben heute wichtiger denn je. Wir wissen, daß die Länder der wirtschaftlichen
Peripherie nicht die geringste Chance haben werden, allein einen Schritt nach vorne zu tun, solange sie
ihre Kräfte noch auf den Kampf gegen den übermächtigen Neoliberalismus konzentrieren
müssen.
Schon am 26. Juli 1972 hat Fidel Castro die Notwendigkeit dieser politischen und ökonomischen
Integration in Lateinamerika erklärt. Diese würde nur erreicht werden, wenn die Revolution in
ganz Lateinamerika fortschreite. Diese Entwicklung steht nicht nur mit unserem Denken im Einklang, sondern
auch mit dem Marxismus und Leninismus und dem Interesse unseres und der übrigen Völker der
Region. Aber vor dieser wirtschaftlichen und politischen Integration mußte der soziale und
antiimperialistische Widerstand auf dem Kontinent wachsen. Eben das ist in den vergangenen Jahren
geschehen. Nun geht es uns darum, das Projekt der Bolivarischen Alternative für Amerika (ALBA) zu
stärken, das dem US-Freihandelsabkommen ALCA entgegensteht. Das ALBA ist der bislang deutlichste
Ausdruck des lateinamerikanischen Integrationsprozesses.
Auch die südamerikanische Freihandelszone Mercosur wird als Teil der regionalen Integration gesehen.
Sind solche Projekte tatsächlich fortschrittlich zu sehen. Was macht es für einen Unterschied,
wenn US-Unternehmen oder südamerikanische Konzerne die Kontrolle haben?
Ich halte sowohl das ALBA als auch den Mercosur für die derzeit wichtigsten Vorhaben in
Lateinamerika. Beide stellen Alternativen zum bestehenden System dar, wenn auch mit unterschiedlichen
Ansätzen. Der Mercosur wurde ursprünglich zwar für die Interessen der regionalen
Bourgeoisie geschaffen. Inzwischen aber wird er von mehr oder weniger fortschrittlichen Regierungen
kontrolliert. Ursprünglich sollte Mercosur das Einfallstor für das transnationale Kapital nach
Lateinamerika sein. Inzwischen wurde der soziale und politische Anspruch von Mercosur aber deutlich
gestärkt und konkretisiert.
Inzwischen ist mit Venezuela ein Land in den Mercosur eingetreten, in dem offen die Entwicklung
eines »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« diskutiert wird. Gibt es entsprechende Debatten auch bei
fortschrittlichen Regierungen wie Argentinien, Uruguay oder Brasilien?
Unabhängig vom Mercosur gibt es wohl eine generelle Debatte zwischen Sozialismus und Kapitalismus.
Zwischen den genannten Ländern gibt es eine dauerhafte ideologische Übereinstimmung,
gleichzeitig hat jeder einzelne dieser Staaten ein eigenes Entwicklungskonzept. Niemand versucht dem
anderen, seine ideologischen Kriterien aufzuzwingen.
Und welche Rolle spielt das sozialistische Kuba in dieser Situation?
Der größte Wert der kubanischen Revolution besteht in ihrem Beispiel, in der solidarischen
Hilfe, die sie anderen Völkern zukommen läßt. Kuba hat zudem bewiesen, daß man auch
angesichts einer Blockade des mächtigsten Staates der Erde widerstehen und das Land entwickeln kann,
um zu einer besseren Welt beizutragen.
Interview: Harald Neuber
Junge Welt, 13.01.2006
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