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Alte Kanonen, neue Bücher
Platzmangel und Hoffen auf Castro und Chávez:
Die Buchmesse Havanna öffnet ihre Tore. 41 deutsche Verlage sind mit dabei


Internationale Buchmessen gibt es viele. Aber nur wenige finden vor einer so beeindruckenden Kulisse statt wie die in Havanna. Keine langweiligen Messehallen, kein Messehaus erwarten die Aussteller, sondern eine mittelalterliche Festung – das Castillo de San Carlos de la Cabaña. Von 1763 bis 1774 gebaut, gilt das mit etlichen Kanonen bestückte und nach König Karl III. von Spanien benannte Bauwerk als das größte Fort, das die Spanier in der Neuen Welt errichtet haben. 1762 hatten sie Havanna kurzzeitig an die Engländer verloren, weil diese den noch unbebauten Hügel der Cabaña dazu nutzen konnten, die gegenüber gelegene und damals bereits weit über 100 Jahre alte Festung El Morro kurz und klein zu schießen. Schon ein Jahr später tauschten die Engländer das eroberte Havanna gegen das in spanischem Besitz befindliche Florida. Die Cabaña-Festung sollte jede weitere Eroberung Havannas verhindern. Aber ihre Feuertaufe fand mangels Aggressors nie statt.

Ein Nachteil der für militärische Zwecke gebauten Festungsräume ist aus heutiger Sicht ihre relative Enge. Im Vorjahr mußten sich die ausstellenden 21 deutschen Verlage einen der Säle mit dem US-amerikanischen Verlag Pathfinder (dt.: Pfadfinder) teilen. Dieses Jahr war für die deutsche Delegation mit nun 41 Verlagen ein eigener Saal zugesagt. Ein erster Blick in die Halle belehrte die aus Cuba-si- und junge-Welt-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern bestehende Vorhut der Aussteller jedoch eines Schlechteren. »Pathfinder« steht auch in diesem Jahr auf dem Werbeschild, das man sieht, und zu allem Überfluß verhindert ein in den Raum ragender Ausstellungsstand den Blick auf die deutschen Buchangebote. Verhandlungen mit den »Pathfindern« blieben – jedenfalls für dieses Jahr – folgenlos.

Der erste Tag vergeht mit dem Dekorieren der Stände. Plakate machen auf zwei Höhepunkte des deutschen Programms zur Buchmesse aufmerksam: eine Konrad-Wolf-Retrospektive und eine Veranstaltung über Leben und Schaffen des Vormärz-Dichters Georg Weerth, der 1856 in Havanna starb.

Draußen auf dem Festungsvorplatz tut sich während der Innenarbeiten allerhand. Trotz 28 Grad und strahlenden Sonnenscheins werden Zeltdächer für die Eröffnungsveranstaltung aufgestellt. Eine Kaltfront ist angesagt, die die Temperaturen auf 20 Grad fallen lassen und Regen bringen könnte. Neben einer Armada von Plastikstühlen werden auch Gerüchte angeliefert. Eines davon besagt, die Eröffnung fände nicht auf der Festung, sondern auf dem Platz vor der US-Botschaft am Malecon unter Teilnahme »der beiden Herren« in Havanna statt. »Die beiden Herren« sind Fidel Castro und Hugo Chávez, der venezolanische Präsident. Das Gerücht wird durchaus ernst genommen, denn Venezuela ist dieses Jahr als Ehrengastland zur Buchmesse eingeladen. Auf dem Dach der amerikanischen Botschaft läuft seit Wochen eine Leuchtschrift mit antikubanischer Propaganda. Die Kubaner beantworteten diese Provokation erst in der vergangenen Woche mit einer Kundgebung, an der sich fast anderthalb Millionen Menschen beteiligten. Seit Tagen wird nun auf dem Platz ein reges Bautreiben registriert. Rotbehelmte Arbeiter richten Dutzende riesiger Fahnenmasten auf. Mit der kubanischen Nationalflagge bestückt, könnten diese die laufende Inschrift auf der US-Botschaft in den Schatten stellen.

Der erste Arbeitstag in Kuba endet Punkt 21 Uhr mit dem traditionellen Kanonenschuß von der Cabaña. Ursprünglich als Signal für das Schließen des Hafens von Havanna gedacht, hat sich die aufwendige tägliche Zeremonie als beliebte Touristenattraktion bis heute erhalten.

junge Welt Uli Schwemin
Junge Welt, 03.02.2006









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