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Milch und Literatur
Kuba: Die heißen Tage und Nächte auf der Cabaña sind zu Ende.
XV. Internationale Buchmesse zieht nun in die Provinzen
Allen Boykotten zum Trotz: Das Recht auf Bildung ist gewahrt
Die XV. Internationale Buchmesse auf der historischen Festung San Carlos de la Cabaña hat am
Sonntag abend ihre Pforten geschlossen. Zum Leidwesen der Besucher ohne Konzert. Die Nächte zuvor
waren heiß. Jeden Abend brachte eine andere Band die Stimmung auf der Festung mit Pop und Salsa vor
dem Hintergrund des tropischen Winterhimmels zum Kochen. Doch das alles war nur das Beiwerk.
In den vergangenen neun Tage haben rund 800.000 Menschen die Messe besucht. Wie viele Bücher sie
kauften, ist statistisch noch nicht erfaßt, doch dürfte die Millionengrenze weit
überschritten sein. Wenig spektakulär bei dem Besucherandrang? Das klingt nur so. Drei Viertel
der Bevölkerung Kubas waren Analphabeten, als 1959 die Revolution siegte. Daß heute in diesem
Land mehr gelesen wird als in jedem anderen Lateinamerikas, ist ein direktes Ergebnis der
Alphabetisierung. Nirgendwo sonst auf dem Kontinent hat Vergleichbares stattgefunden.
Lesen heißt auch, sich zu begeistern – und das nicht nur für kubanische Literatur. Den
Ausstellern aus über 30 Ländern, die sich ihrerseits für den kubanischen Leser
interessieren, kam das entgegen. So auch den deutschen. Aus der BRD waren 41 Verlage dabei, so viele wie
nie zuvor. Für diesen Erfolg verantwortlich ist vor allem das Büro Buchmesse Havanna, das im
Jahr 2003 auf Initiative des Netzwerks Cuba e.V. und dessen Mitgliedsorganisation Cuba sí
gegründet wurde. Die Bundesregierung boykottiert seit damals die Messe. Als Gründe
angeführt werden dafür vermeintliche Menschenrechtsverletzungen in Kuba. In der Tat wird dort
das »Menschenrecht« auf Konterrevolution, das Zurückstoßen des Landes in seine Rolle als
Hinterhof der USA unterdrückt. Der Versuch der Bundesregierung, diese Tatsache mit dem Boykott des
Menschenrechts auf Bildung, Literatur und kulturellen Austausch zu beantworten, rief damals die
Kuba-Freunde auf den Plan. Statt der Frankfurter Buchmesse organisiert seitdem das von ihnen
gegründete Büro Buchmesse Havanna den deutschen Auftritt auf der Cabaña.
Man folgte damit einer langen Tradition. Schon 1991 rief Cuba sí die Solidaritätskampagne
»Milch für Kubas Kinder« ins Leben. Die BRD hatte damals quasi über Nacht alle Verträge
zwischen der DDR und Kuba einseitig gekündigt, auch jene über die Lieferung von Milchpulver und
Rinderkraftfutter. Zudem wurden nach dem Anschluß der DDR sämtliche bestehenden Soliprojekte
eingestellt, was keinem anderen Land in dieser Konsequenz und Schärfe zugemutet wurde.
1993 erweiterte Cuba sí als »Arbeitsgemeinschaft der PDS« die Hilfe. Gemeinsam mit der kubanischen
Vereinigung für Tierproduktion wird seitdem daran gearbeitet, eine stabile Milcherzeugung im Land
wiederaufzubauen. So soll der tägliche Milchkonsum für Kinder bis zu sieben Jahren, Alte und
Kranke auf Dauer gesichert werden. Drei Projekte gibt es dafür in der Nähe von Havanna, in
Zentralkuba und in Guantánamo im Osten des Landes, ganz in der Nähe des US-amerikanischen
Gefangenen- und Folterlagers.
Anläßlich der Buchmesse hat es übrigens auch eine Kranzniederlegung gegeben. Reinhard
Thiele von Cuba sí und die Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke legten gemeinsam mit
kubanischen Germanisten, Literaten und Künstlern ein Blumengebinde am Grab von Georg Weerth nieder.
Der Vormärz-Dichter, Marx- und Engels-Freund und scharfzüngige Feuilleton-Chef der Neuen
Rheinischen Zeitung, starb vor 150 Jahren nur 34jährig am Tropenfieber in Havanna. Dort liegt er
auch begraben, unter einer Gedenkplatte, die vor 30 Jahren von der DDR gestiftet wurde. Weerth stiftet
seinerseits auch anderthalb Jahrhunderte nach seinem Tod immer noch Wissen. Und wer es sich aneignet, den
stiftet er an zum Widerstand. Georg Weerth zählte sich selbst »zu den Lumpenkommunisten, welche man
so sehr mit Kot bewirft und deren einziges Verbrechen ist, daß sie für Arme und
Unterdrückte zu Felde ziehen«, wie er in einem Brief an seine Mutter schrieb.
Das gleiche Verbrechen wird heute Fidel Castro und seiner Regierung vorgeworfen – von US-amerikanischer
Seite, von der Europäischen Union, der Bundesregierung und erst jüngst von einigen
EU-Abgeordneten der Linkspartei.PDS. Weil die Menschenrechte unteilbar seien, wie es im Politkauderwelsch
dieser Leute heißt. In verständliches Deutsch übersetzt heißt das nichts anderes als
die Postulierung eines Menschenrechts auf Konterrevolution und die endgültige Absage an das Recht
auf ein menschenwürdiges Leben.
Kuba wird darauf antworten wie immer: Mit dem Kampf für mehr statt weniger Sozialismus. Die
Buchmesse ist Teil dieses Programms. Sie geht jetzt auf die Reise in die 14 Provinzen der Insel. Bis zum
5. März wird sie in 35 weiteren Städten die lesehungrigen Kubaner in ihren Bann ziehen. Und ab
6. März beginnen die Vorbereitungen für die 16. Messe. Ehrengastland wird Argentinien sein.
Ulrich Schwemin; Havanna
Junge Welt, 12.02.2006
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