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Künstler und Schriftsteller debattierten
In Havanna tagte in der vergangenen Woche der 7. Kongress der kubanischen Union der Schriftsteller und
Künstler (UNEAC), der nicht nur von kunstinteressierten Kubanern mit Spannung erwartet worden war.
In der UNEAC, die sich weder als Gewerkschaft noch als staatliche Institution versteht, sind die meisten
kritischen Geister des Landes vereint, die zwar die Revolution nicht in Frage stellen, zugleich aber auch
gewappnet sind, deren Irrtümer ohne diplomatischen Schmus anzufechten. Gerade jetzt, nachdem Präsident
Raúl Castro zur öffentlichen Debatte – »immer zur rechten Zeit, am rechten Ort und objektiv« –
aufgefordert hatte.
Die Kubaner ließen sich das nicht zweimal sagen. Die Scheu, die Angst, bei einigen Scharfmachern der
Obrigkeit anzuecken, ist dahin, zumal offensichtlich ist, dass die Regierung alles in ihren Kräften
stehende tut, um materielle Mängel und bürokratischen Ballast abzubauen. Nach und nach.
387 Kunstschaffende vertraten 8.000 UNEAC-Mitglieder, die ihren Kongress binnen eines Jahres vorbereitet
hatten. Ohne Drehbuch von oben. Kulturminister Abel Prieto, der schon viele Jahre im Amt ist und für
seine Leute geradesteht (er ist der einzige, der Fidel Castro in einer öffentlichen Versammlung
widersprach) meinte, inzwischen mache sich jeder lächerlich, der behaupte, er werde wegen seiner Ideen
verfolgt. Auch der vor einem Jahr zum Leiter der Kulturabteilung des ZK der KP berufene Eliades Acosta,
ehemaliger Direktor der Nationalbibliothek, Schriftsteller und Philosoph, ist ein Verfechter
pluralistischer Kultur und Gegner einer »dogmatischen Zensur«.
Symptomatisch für die gegenwärtige kubanische Kulturlandschaft ist, dass im Dezember 2007 das Theaterstück
»Zwei gegen Theben« von Anton Arrufat freigegeben wurde. Es war 1968 verboten worden und lag seither auf
Eis. Zugegeben, ein heikles Thema: Zwei Brüder kämpfen auf Tod und Leben um die Macht in der Stadt. Von
Arrufat wurde bis Anfang der 80er Jahre nichts mehr gedruckt. So erging es vielen während der grauen fünf
Jahre von 1971 bis 1976. Viele verließen das Land, nicht nur Arrufat blieb.
Er und andere Leidtragende sind schon seit Jahren rehabilitiert, haben höchste Ehrungen erhalten. Als Ende
vergangenen Jahres drei der extremistischsten Zensoren des »grauen Jahrfünfts« in drei verschiedenen
Fernsehprogrammen erschienen und zu Bagatellthemen befragt wurden, brach unter den Künstlern ein Sturm
los. Gewiss nicht weil sie befürchteten, es könnten wieder Homosexuelle, nicht 100-prozentig Linientreue
und Widersacher des sozialistischen Realismus geschmäht werden. Es war eher ein emotionaler Aufstand nach
einem Ausrutscher des Fernsehens, aber eben einem höchst fatalen. Denn die Wunden waren noch nicht
verheilt. über dieses Jahrfünft war schließlich nie offen diskutiert worden. Man beförderte es heimlich,
still und leise auf den Müll.
Dieser 7. Kongress wird reinen Tisch gemacht haben. Stichworte aus den Debatten, in denen das
»graue Jahrfünft« nur ein Thema unter vielen war: nichts idealisieren; mehr kreative Konfrontationen;
Verwaltungsfunktionäre, die nichts taugen, seien zurückzuweisen; Verschweigen – was auch immer – ist ein
Fehler; wie soll die Gesellschaft den Sozialismus perfektionieren, wenn sie nicht informiert ist; in der
Volksbildung, dem einstigen Paradestück der Revolution, klaffen tiefe, gefährliche Lücken; junge Künstler
und solche aus den Provinzen seien fester in die Arbeit der UNEAC-Führung einbeziehen (nur drei Prozent
der Delegierten waren jünger als 40 Jahre). Überall im Lande lebe Poesie, lebe authentische Kunst; jeder
Spur von Bürokratie, Absurditäten und Unvernunft sei Halt zu gebieten, wenn »unser Sozialismus«
erfolgreicher und attraktiver werden soll; die Qualität von »kulturellen Produkten« für den Tourismus sei
himmelschreiend miserabel. Wie können wir den Alltag des schlechten Geschmacks, der Aggressivität, der
schlechten Erziehung und der Banalität zum Positiven wenden?
Es wurde dem Vernehmen nach kein Thema ausgelassen, das die Künstler Kubas bewegt. Dazu Anton Arrufat:
»In den entscheidenden Zeiten wie heute haben wir es immer verstanden, Wege zu finden, um das Verbogene
zu korrigieren und geradezubiegen.«
Die Organisatoren hatten sich für den Kongress vier Tage Zeit genommen. Raúl Castro war dabei, so oft er
konnte. Der Schauspieler Ramón Silverio aus Santa Clara meinte, von vornherein habe sich abgezeichnet,
dass es ein historischer Kongress werden könnte. Es dürfte eine unruhigere, aktivere, pluralistischere
UNEAC dabei herausgekommen sein, die die »Kultur vor Bürokratismus, Vereinsmeierei,
Fortschrittsfeindlichkeit, Demagogie und Opportunismus bewahrt ... und sich Kuba und der Revolution
kämpferisch verpflichtet fühlt«, wie der Schriftsteller und Bundesverdienstkreuzträger Miguel Barnet in
seiner Eröffnungsansprache verlangte. Er wird wahrscheinlich der nächste Präsident der UNEAC sein.
Leo Burghardt, Havanna
Neues Deutschland 14.11.2008
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