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Nicht mehr so langweilig
Der Kongreß des kubanischen Schriftstellerverbandes forderte eine neue Kulturpolitik
Es war die lang erwartete große Aussprache: 400 Delegierte zogen auf dem Kongreß des kubanischen Künstler-
und Schriftstellerverbandes UNEAC in der vergangenen Woche eine Zwischenbilanz der Kulturpolitik. Und die
fiel nicht immer gut aus. Vor allem das Fernsehen und die Tagespresse standen im Zentrum der Kritik. Zu
schlecht, zu verschlossen, zu unkritisch seien die Medien, hieß es im »Palacio de las Convenciones« im
Osten der Hauptstadt Havanna. Einer der kritischsten Teilnehmer war Kulturminister Abel Prieto.
Zehn Jahre nach der letzten Veranstaltung dieser Art und kurz nach dem Regierungswechsel im Februar kam
dem Kongreß eine besondere Bedeutung zu. Seit Monaten laufen heiße Debatten um die Kulturpolitik. Und
kulturelle Diskussionen drehen sich in Kuba immer auch um die Revolution, ihre Vergangenheit, Gegenwart
und die Zukunft.
Die 13 Arbeitsgruppen, von denen das Treffen seit einem Jahr vorbereitet wurde, beschäftigten sich u.a.
mit Kultur, Ausbildung, Tourismus, Wirtschaft und Gesellschaft. Vor allem die Folgen der wirtschaftlichen
Öffnung für die Jugendlichen wurden thematisiert. »Wir dürfen nicht zulassen, daß unsere Nachrichten
von der Jugend als langweilig und überholt angesehen werden«, mahnte Prieto, »während alles aus
Nordamerika als attraktiv und unterhaltsam gilt.«
Solche Selbstkritik bestimmte den Tenor des Kongresses von Dienstag bis Freitag voriger Woche. Die UNEAC,
ein Verband mit rund 8.500 Künstlern und Schriftstellern, habe ihre Aufgaben in den vergangenen Jahren
kaum mehr wahrgenommen, hieß es. Senel Paz, Schriftsteller und Drehbuchautor des auch international sehr
erfolgreichen Kinofilms »Erdbeer und Schokolade« (1993), bemängelte die zu geringen finanziellen
Ressourcen, die TV-Produktionen zur Verfügung stünden. Langweilige Programme seien die Folge, der Alltag,
vor allem von marginalisierten Gruppen, finde sich im Fernsehen kaum wieder. Statt dessen würden vor
allem Samstag abends niveaulose ausländische Produktionen ausgestrahlt, oft drittklassige US-Schinken aus
den 70er und 80er Jahren. »Aber«, so die bekannte Telenovela-Schauspielerin Maite Vera gegenüber junge
Welt, »nun will die Regierung mehr Ressourcen zur Verfügung stellen«. Tatsächlich hatte auch
Kulturminister Prieto das Problem des Fernsehens aufgegriffen. Die Aufgabe sei es, »kulturelle
Referenzen« zu schaffen, sagte er, damit der »Kampf gegen neokoloniale Ideen« nicht verloren ginge.
Die UNEAC will nun regelmäßig über die Medienpolitik beraten. Dabei wird es auch um die Tagespresse gehen,
die, ebenso wie das Fernsehen, wegen fehlender kritischer Berichterstattung und Debatten kritisiert wurde.
Die Künstler und Schriftsteller sehen vor allem bei der Jugend einen Werteverlust, dessen Ursache vor
allem in der vergangenen schwierigen wirtschaftlichen Situation liegt. Mit der Steigerung des Tourismus,
dem Wachsen der sozialen Ungleichheit und der Kommerzialisierung der Kultur seien Unsicherheiten
entstanden. Als Rezept schlagen die Teilnehmenden eine Revision der gesamten Kulturpolitik vor, an der sie
sich beteiligen möchten. Der Kongreß legte hierzu eine lange Liste mit konkreten Vorschlägen vor.
Die Künstler diskutierten aber auch ihre eigene Rolle in der Gesellschaft. Die Ansprüche an Kulturpolitik
dürften nicht nur ihren eigenen Kriterien entsprechen, sondern müßten auch mit den Interessen der
Gesellschaft übereinstimmen. Daß es hier zu Konflikten kommen kann, zeigt die in Kuba so beliebte
Partymusik Reggaeton, die oft mit sexistischen Texten einhergeht. Wiederholt wurde gefordert, daß jede
Form von Diskriminierung – die des Geschlechts, der Ethnie oder die der sexuellen Präferenz – nicht
akzeptabel sei. Für Konfliktfälle solle eine Kommission eingerichtet werden, die alle Probleme möglichst
offen diskutieren und nach Lösungen suchen soll. Applaus erhielt der Historiker Eusebio Leal, der dazu
aufrief: »Bereiten wir uns auf ein neues Ziel für unser Land vor!«
Maite Vera, die an der Vorbereitung beteiligt war, ging zufrieden nach Hause: »Für mich ist am
wichtigsten, daß es eine offene Debatte gab und das Vertrauen, daß niemand Angst zu haben brauchte, seine
Meinung zu äußern. Es gibt die Bereitschaft, mit alten Konzepten zu brechen, die den Prozeß des wirklichen
Sozialismus nur aufhalten würden.«
Komplett neu gewählt wurde das Präsidium der UNEAC. Erster Vorsitzender wurde der international bekannte
Schriftsteller Miguel Barnet. Carlos Lage bedankte sich im Namen der Regierung bei den Delegierten mit den
Worten: »Die Revolution ist heute so stark wie nie.«
Kerstin Sack
Junge Welt, 07.04.2008
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