|
Im Schulterschluß
Raúl Castros erste Auslandsreise als Präsident Kubas führte nach Caracas
Auf seiner ersten Auslandsreise seit Übernahme der Amtsgeschäfte vor zehn Monaten ist der
kubanische Präsident Raúl Castro am Sonnabend in Caracas eingetroffen. Auf dem internationalen
Flughafen von Maiquetia wurde er von seinem venezolanischen Amtskollegen Hugo Chávez erwartet und herzlich
begrüßt. »Ich überbringe allen Venezolanern die Grüße und Umarmungen des
kubanischen Volkes und des Chefs der Revolution, Fidel Castro Ruz«, sagte der jüngere Bruder des
langjährigen Präsidenten. Chávez hieß ihn in seiner Antwort als »eine der treibenden
Kräfte dieser großen Revolution« willkommen. »Es ist für uns eine große Ehre. Raúl,
wir empfangen dich, und mit dir empfangen wir Fidel, das kubanische Volk, die Guerilleros der Sierra
Maestra und den 50. Jahrestag der kubanischen Revolution, dem Beispiel für alle Völker dieses
Kontinents.«
Unmittelbar nach seiner Ankunft legte Raúl dann an der letzten Ruhestätte Simón Bolívars im Pantheon
einen Kranz für den Befreier Südamerikas von der spanischen Kolonialherrschaft nieder.
Anschließend wurden beide auf der Plaza Bolívar, dem historischen Zentrum der Stadt, von der dort
versammelten Menge gefeiert.
Inhaltlicher Höhepunkt des Besuchs war bislang die Unterzeichnung von 137 neuen Wirtschafts- und
Kooperationsabkommen zwischen beiden Ländern, die ein Gesamtvolumen von rund zwei Milliarden
US-Dollar ausmachen. Dazu gehören die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zur
Förderung und Verarbeitung von Erdöl und Flüssiggas in Kuba, der Bau einer neuen
Erdölraffinerie in der kubanischen Hafenstadt Matanzas sowie ebenfalls im Energiebereich die
Gründung eines gemeinsamen »sozialistischen Joint Ventures« unter dem Namen »Guardián del ALBA«
(Wächter der ALBA).
Beide Staatschefs würdigten die antiimperialistische Staatengemeinschaft ALBA (Bolivarische
Alternative für die Völker Unseres Amerika) als eine »höhere Form des Zusammenschlusses der
Länder in der Region« sowie Werkzeug des Kampfes gegen den Neoliberalismus und die internationale
Finanzkrise«. Castro erinnerte daran, daß ALBA bei der Gründung Ende 2004 nur aus zwei
Ländern – Kuba und Venezuela – bestand. Mittlerweile sind Bolivien, Nicaragua, Dominica und Honduras
hinzugekommen. »Davon ausgehend entstanden Kooperationsinitiativen wie Petrocaribe und viele mehr, die
eine andere Welt anstreben – und eine andere Welt ist möglich«, betonte Raúl Castro.
Er forderte, die Zusammenarbeit zu beschleunigen und zu prüfen, welche Hindernisse das Erreichen der
angestrebten Ziele verzögern. »Im Namen Kubas danken wir dem venezolanischen Volk für seine
Solidarität mit der kubanischen Revolution. Wenn es uns gelungen ist, die schwersten Jahre hinter uns
zu lassen, in denen wir allein der Krise und der Blockade Widerstand leisteten, dann liegt das nicht nur
an unserer Einheit und unserem Widerstandsgeist, sondern auch an der entscheidenden Hilfe des
bolivarischen Venezuela«.
Dieser erste Besuch des kubanischen Präsidenten war mit Spannung erwartet worden. Korrespondenten
bürgerlicher Medien spekulierten bereits über Spannungen zwischen Venezuela und Kuba oder
zwischen den beiden Staatschefs, weil zunächst lediglich die Teilnahme Castros am Gipfel der Staaten
Lateinamerikas und der Karibik über Zusammenarbeit und Integration am Dienstag und Mittwoch im
brasilianischen Salvador de Bahía bestätigt worden war. Mitte November dann erklärte Chávez,
Castro habe ihm mitgeteilt, Brasilien, Rußland und andere Länder besuchen zu wollen. Aber
zuerst komme er nach Venezuela.
André Scheer
Junge Welt, 15.12.2008
|
|