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»Kunst ist nicht kontrollierbar«
Über Widerstand in Kolumbien und die Macht der Gefühle. Ein Gespräch mit Gustavo
Muñoz Mátiz.
Anfang des Monats fand in Berlin das 5.»Bolivarianische Filmfestival« statt. Organisiert hatte es das
»Breite Bündnis für Kolumbien« mit Unterstützung von junge Welt. Im Rahmen des Festivals
hielt der kolumbianische Karikaturist und Lehrer Gustavo Muñoz Mátiz einen Vortrag zum Thema
»Widerstand und Kunst in Lateinamerika«. Er wurde von den Todesschwadronen aus Kolumbien vertrieben und
lebt seit neun Jahren im belgischen Exil, wo er sich für die Organisation ARLAC (Vereinigung der
Flüchtlinge aus Lateinamerika und der Karibik) engagiert.
Warum mußten Sie Kolumbien verlassen?
Als ich im Jahr 2000 von den Verhandlungen zwischen der Guerillaorganisation FARC und der kolumbianischen
Regierung, an denen ich als Mitglied der »Künstler für den Frieden« vermittelnd teilgenommen
hatte, nach Hause zurückkam, fand ich eine Drohung vor. Ich sei zum militärischen Ziel
erklärt worden, weil meine Äußerungen zuviel Sympathie mit den FARC verraten hätten.
Wie sah diese Drohung aus?
Ich bekam eine Trauerkarte, in der Art jener, mit denen der eines Menschen bekanntgegeben wird. Es
handelte sich um eine Einladung der Todesschwadronen zu einer Messe für die Seele von Gustavo
Muñoz Mátiz und zwar datiert auf den folgenden Sonntag. Das bedeutete, daß ich am
Freitag oder Samstag umgebracht werden sollte. Diese Drohung gab mir zwei oder drei Tage Zeit, eine
Entscheidung zu treffen.
Eine Option war ein öffentlicher Widerruf, ich hätte so etwas sagen können wie »ich habe
mich geirrt, ich nehme alles zurück, ich sehe meinen Fehler ein«. Das hätte bedeutet, meine
Haltung zu verraten. Die zweite Option hätte darin bestanden, mein Leben als Zivilist aufzugeben und
mich dem bewaffneten Widerstand anszuschließen. Die dritte Möglichkeit war, ins Exil zu gehen
und dort weiterzumachen wie bisher. Die vierte Option: nichts tun und darauf warten, das nächste
Opfer zu werden. Ich habe mich entschieden, meinen Kampf mit den Mitteln, die mir die Zivilgesellschaft
bietet, fortzusetzen.
Wie steht es um die Opposition in Kolumbien?
In Kolumbien gibt es die zivilisierten Freiräume nicht mehr, juristische, gewerkschaftliche,
künstlerische oder sonst irgendeine Opposition zu betreiben. Wer sich gegen die Politik der Regierung
ausspricht, gilt gleich als Guerillero. So gesehen würde es in Kolumbien 40 Millionen Guerilleros
geben. Es herrscht ein Klima der Angst. Die meisten Leute trauen sich nicht, etwas zu sagen – nicht weil
ihnen der Mut fehlt, sondern weil sie Familien haben, die sie beschützen müssen. Die Menschen
haben verstanden, daß es riskant ist, offen zu reden. Die Regierung hat die Bauern und die Indigenen
und alle anderen in den Krieg verwickelt, indem sie sie mit einer Armee von einer Million Informanten
umstellt hat. Es ist eine faschistische Methode, Leute dazu zu bringen, ihren Bruder, ihren Freund, ihren
Sohn zu verkaufen. Sie bezahlen gut für die Information, Menschen werden auf Verdacht festgenommen
und hingerichtet.
Heutzutage wenden die Militärs eine Strategie namens »falsch positiv« an, um von der Regierung
festgelegte Quoten zu erreichen. Die Regierung muß militärische Erfolge nachweisen. Da es diese
nicht gibt, werden Zivilisten als Soldaten verkleidet und umgebracht. Man legt ihnen Waffen in die
Hände und erklärt, sie seien als Guerilleros im Kampf gestorben. Die Militärs bekommen
für jeden Toten 1700 Euro. Man muß von Euro sprechen, denn das Geld kommt als humanitäre
Unterstützung aus Europa. Es ist furchtbar. Offiziell soll das Geld für friedensstiftende
Programme und den Wiederaufbau der Kriegszonen benutzt werden. Statt dessen sind aber mittlerweile
gesamte Kompanien damit beschäftigt, Zivilisten umzubringen, und die Oberste und Generäle
bereichern sich daran.
Wie informieren Sie sich als Exilant in Brüssel über all diese Ereignisse?
Meine Arbeit besteht darin, eine Informationsbrücke zu sein. Ich lebe in Belgien, weil es das
Schicksal so wollte. Mein Herz und meine Gedanken sind aber immer zu Hause, in Kolumbien. Die
Volksorganisationen, politischen Bewegungen, Freunde, Kollegen von der Universität, ehemalige
Schüler – sie alle füttern mich mit Informationen. Meine Rolle ist es, das bekanntzumachen, was
nicht ans Licht der Öffentlichkeit kommt. Wir befinden uns in einem medialen Krieg.
Denn der Krieg wird nicht nur mit Waffen ausgetragen. Die Regierung verbreitet falsche und gefälschte
Informationen. In den europäischen Zeitschriften stehen viele Berichte über Kolumbien, für
die in Wirklichkeit die jeweilige kolumbianische Botschaft bezahlt hat. Damit der durchschnittliche
Europäer denkt, daß in Kolumbien ein Krieg gegen die Drogenerzeuger geführt werden. In
Wirklichkeit herrscht ein Krieg gegen die Bauern. Mehr als vier Millionen Kolumbianer sind inzwischen
Flüchtlinge. Wir haben mehr Flüchtlinge als der Irak.
Bei dem »Bolivarianischen Filmfestival« in Berlin hielten Sie einen Vortrag über Kunst als
Widerstand in Lateinamerika. Was kann Kunst erreichen?
Das geschriebene Wort besitzt in der jüdisch-christlich geprägten Welt eine ungeheure Bedeutung.
Die kolumbianische Regierung beherrscht es perfekt. Sie kontrolliert die Presse, nicht nur in meinem Land.
In Kolumbien geht jeder Text vor der Veröffentlichung durch die Zensur des Militärgeheimdienstes.
Andernfalls drohen dem Medium Repressalien, oder es wird gleich geschlossen.
El Tiempo, die größte Zeitung Kolumbiens, gehört dem Vizepräsidenten Francisco
Santos. Sie veröffentlicht also das, was die Regierung sagen will. Information wird so lange
manipuliert, bis sie von weiten Kreisen der Bevölkerung geplant wird. Sie können also
kontrollieren, was gesagt wird. In der Kunst ist das unmöglich. Davor haben die Herrschenden Angst
und deswegen muß ein Karikaturist das Land verlassen, wenn er zensiert wird.
Die Kunst – sei es Graffiti auf der Straße, eine mehrdeutige Zeichnung oder eine Ausstellung – kann
nicht kontrolliert werden. Ein Kunstwerk kann subversiv sein, indem es etwas anprangert. Wie viele
Kunstwerke wurden für subversiv erklärt, nachdem sie zuvor von einem großen Publikum
bejubelt wurden? Wenn ich einen Text schreibe und verschiedenen Internetseiten schicke, erfahre ich eine
unglaubliche Zensur. Aber wenn ich ein Bild schicke, wird es in Moskau, Irak, Palästina, Costa Rica,
Mexiko, Spanien und Italien veröffentlicht.
Künstler haben die Möglichkeit, etwas zu berühren, das über das geschriebene Wort
hinaus geht – die Gefühle. Wenn der Staat es schafft, das Wort zu kontrollieren – der rationale Teil
des Krieges – ist es die Aufgabe des Künstlers, die andere Hemisphäre zu berühren, die sich
nicht kontrollieren läßt. Es ist wundervoll zu sehen, wie zum Beispiel Musik in allen
Stilrichtungen die Widerstandsbewegung prägt. Oder T-Shirts mit aufgedruckten Bildern von
Anführern der Bewegung oder Symbolen des Protests, die sagen: »Wir ertragen es nicht mehr«. Wir
können es nicht sagen oder schreiben, aber singen oder zeichnen. Durch die Kreativität
läßt sich das Etablierte verändern. Zu wissen, daß ich an einer kulturellen
Widerstandsbewegung teilhabe, macht mich glücklich.
Die Straßenkunst, die Strophen der Bauern, die sie nachts singen, die Gewebe der Zigeunerinnen. Man
muß nicht nur Argumente haben, sondern auch Leidenschaft und Lust. Das Wort erreicht das Hirn, ist
aber kontrolliert. Wir, die Künstler des Widerstands, erreichen das Herz, die Welt der Emotionen. Die
linke Bewegung braucht beides, nicht nur in Kolumbien. Ergeben wir uns nicht dem Fatalismus. Lassen wir
uns nicht demoralisieren. Mit der Kunst rütteln wir die Müden wach und erheben die Resignierten.
Wir geben denjenigen die Lust zurück, die glauben, alles sei verloren. Deshalb werde ich so lange
Kunst machen wie ich kann.
Interview: Nick Kaiser
Junge Welt, 11.03.2009
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