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Kubas Weg aus der Krise
Der Zusammenbruch der europäischen sozialistischen Staaten brachte Ökonomie und Gesellschaftssystem des Inselstaates in Bedrängnis. Mit gezielten Notstandsprogrammen konnte das Land seine Wirtschaft beleben.
Als sich vor 20 Jahren die ersten Vorboten der wenig später voll einsetzenden Wirtschaftskrise
ankündigten, konnte niemand ahnen, welches Ausmaß die als Spezialperiode bezeichnete Krisenzeit
annehmen sollte, in der das sozialistische Kuba nach dem Wegbrechen seiner wichtigsten Partner zeitweise
kurz vor dem ökonomischen Kollaps stand. Heute hat das karibische Land nicht nur die Folgen dieser
dramatischen Situation weitestgehend überwunden, sondern konnte auch die anfängliche politische
Isolation durchbrechen und ist heute anerkanntes und respektiertes Mitglied der Staaten des südlichen
Amerika. Zudem ist es der politischen Führung des Landes gelungen, den gesundheitlich bedingten
Rücktritt Fidel Castros von allen politischen und gesellschaftlichen Ämtern zu kompensieren und
somit erfolgreich eine neue Etappe in der Geschichte des revolutionären Kuba einzuleiten.
Die große Krise der 90er Jahre
Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der mit ihr verbündeten sozialistischen Staaten Europas ging
nicht nur eine Epoche der militärischen Konfrontation mit dem Westen zu Ende, sondern es verschwand
zugleich das Land, mit dem Kuba über mehr als 30 Jahre hinweg engste politische und ökonomische
Verbindungen gepflegt hatte. Für Kuba begann mit diesen Veränderungen im internationalen
Staatensystem somit eine neue Zeitrechnung, die das kubanische Gesellschaftssystem vor größte
Herausforderungen stellen sollte.
Mitte der 80er Jahre waren die nur kurz währenden goldenen Zeiten der kubanischen Wirtschaft bereits
wieder vorbei, und das Land hatte große Schwierigkeiten, die Schulden gegenüber westlichen
Kreditgebern zu bedienen. Auch brachte die Amtszeit des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow eine
sukzessive Verschlechterung der Beziehungen Kubas zu seinem wichtigsten Partner mit sich, der im Zuge der
Perestroika die Wirtschaftshilfe Jahr für Jahr verringerte. Gemessen an dem Ausmaß der
Konsequenzen aus dem sich wenig später ereignenden Zusammenbruch des europäischen Sozialismus
waren dies allerdings nur erste Vorboten. Die Staaten, mit denen Kuba bisher 80 Prozent seines
Außenhandels abgewickelt hatte, verschwanden um 1990 quasi über Nacht von der Bildfläche,
und die Säulen, auf denen die kubanische Wirtschaft bis dato geruht hatte, brachen nach und nach
alle weg.
Die Folgen waren verheerend, und obwohl sich das Land bereits Ende der 80er Jahre verstärkt darum
bemüht hatte, seine Außenhandelsbeziehungen zu diversifizieren und die Abhängigkeit vom
Zucker zu verringern, traf der Wegfall der Haupthandelspartner die kubanische Wirtschaft mit voller Wucht
und mit katastrophalen Auswirkungen. Besonders der Rückgang von Öllieferungen um 50 Prozent, die
Kuba vom Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) weit unter dem Weltmarktpreis erhielt und die
der Inselstaat teilweise reexportierte, um damit bis 40 Prozent seiner Devisen zu erwirtschaften, hatte
schwerwiegende Folgen für fast alle Bereiche der nationalen Ökonomie. Betriebe und Fabriken
konnten in der Folge nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt produzieren, die Erntemöglichkeiten
verringerten sich drastisch, und die Lebensmittelproduktion ging dramatisch zurück.
Neben dem Ausfall dieser Mittel für die Grundversorgung wog besonders schwer, daß nahezu die
gesamte kubanische Industrie aus osteuropäischen Maschinen und Produktionsanlagen bestand, für
die nun keine Ersatzteile mehr zu bekommen waren. Besonders verheerend war die 75prozentige
Importverringerung im Bereich der Nahrungsmittel, die einen großen Teil der Importe ausmachten. Auch
die Einfuhr von für die Nahrungsmittelproduktion relevanten Düngemitteln und Pestiziden sowie
von Konsumgütern und sonstigen Verbrauchsmaterialien kam nahezu vollständig zum Erliegen. In den
Folgejahren bis 1993 sank das Bruttoinlandsprodukt um mehr als 35 Prozent, die Exporte brachen um 80
Prozent ein, die Bruttoinvestitionen verringerten sich um 60 Prozent, und die Auslastung der
Industriekapazitäten betrug zu dieser Zeit lediglich zwischen zehn und 20 Prozent. Verschärfend
kam noch hinzu, daß die im Jahr 1960 von den USA verhängte totale Wirtschaftsblockade, die
bislang zu über 90 Prozent von den RGW-Handels- und Entwicklungskrediten kompensiert wurde, nun ihre
volle Wirkung entfalten konnte.
Maßnahmen gegen die Krise
Angesichts dieser existenzbedrohenden Situation sah sich die kubanische Regierung dazu gezwungen, rasch
umfangreiche Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen einzuleiten, um einen wirtschaftlichen
Totalzusammenbruch des Landes zu vermeiden und rief im Jahr 1991 die »Período especial en tiempos
de paz« aus. Verbunden mit der Ausrufung dieser »Spezialperiode in Friedenszeiten« war ein
Notstandsprogramm, das einer Kriegswirtschaft mit Staatskontrolle und Güterrationierung glich und vor
allem Sofortmaßnahmen enthielt. Flankiert wurde dieses Programm von dem »Plan alimentario«, einem
Selbstversorgungsplan für Nahrungsmittel, der allerdings fehlschlug. Insgesamt handelte es sich bei
den Maßnahmen, die zur Bewältigung der Krise ergriffen wurden, weniger um grundsätzliche
Reformen, als vielmehr um punktuelle Notstandsprogramme, die den dramatischen Sturz der Wirtschaft zwar
nicht aufhalten konnten, aber geeignet waren, die größte soziale Not der Bevölkerung zu
mildern.
Um die weiter anhaltende Talfahrt der kubanischen Ökonomie zu stoppen, wurden daher ab Jahresende
1993 verstärkt strukturelle Reformen in Angriff genommen. Diese Anstrengungen sollten das Land dem
Weltmarkt und ausländischen Investoren öffnen sowie die Binnenproduktion und Konsumption
ankurbeln; in jedem Fall sollten Devisen erlangt oder eingespart werden, um die so dringend notwendigen
Importe realisieren zu können. Zu den wichtigsten Maßnahmen, die zum Großteil erst ab
1994 verabschiedet wurden bzw. erst ab diesem Zeitpunkt ihre Wirkung entfalten konnten, gehören im
Binnensektor die Wiederzulassung der 1986 abgeschafften freien Bauernmärkte sowie die Erlaubnis zur
Gründung landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (UBPC). Auch wurde die Zulassung von
privaten Kleinunternehmen in mehr als 100 Berufssparten und die Legalisierung des US-Dollars und weiterer
Devisenwährungen beschlossen; zusätzliche fiskalpolitische Maßnahmen und
Subventionskürzungen mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung folgten. Im Außenhandelssektor
wurden die konsequente Öffnung für ausländisches Kapital zur Gründung von Joint
Ventures, die Suche nach neuen Kreditgebern und Handelspartnern sowie die Förderung und der massive
Ausbau des Tourismus zu Grundpfeilern der neuen Wirtschaftspolitik.
Konsolidierung der Wirtschaft
Diese Maßnahmen und Programme zur Umstrukturierung der kubanischen Wirtschaft begannen seit Mitte
der 90er Jahre zu greifen und die Versorgungssituation der Bevölkerung merklich zu verbessern. Im
Jahr 1994 konnte die rasante Talfahrt der Ökonomie gebremst werden, und bereits ein Jahr später
war erstmals wieder ein Wirtschaftswachstum zu konstatieren. Das Bruttosozialprodukt stieg bis zum Jahr
2000 jährlich um vier Prozent, Industrie und Landwirtschaft konnten Zuwachsraten von jeweils mehr
als sechs Prozent verzeichnen. Auch das Haushaltsdefizit, das 1993 noch ein Drittel des
Bruttosozialprodukts ausmachte, betrug um die Jahreswende 1999/2000 nur noch 2,4 Prozent. Besonders die
Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen, die zunächst vor allem in die touristische
Infrastruktur investierten, trugen maßgeblich zur Erholung der Wirtschaft bei und galten als
Zugpferde der Entwicklung. Im Jahr 2000 arbeiteten 400 solcher Mischunternehmen mit einem
Investitionsvolumen von vier Milliarden Dollar; aufgrund eines Richtungswechsels der kubanischen
Investitionspolitik sank die Anzahl der internationalen Wirtschaftsassoziationen jedoch auf 233 im Jahr
2007.
Neben den ausländischen Geldgebern spielte der Außenhandel eine bedeutende Rolle bei der
Überwindung der Spezialperiode. Kuba gelang es innerhalb weniger Jahre, den Verlust von mehr als 80
Prozent seiner Außenhandelspartner zu kompensieren und durch eine Dreifachstrategie neue Partner zu
gewinnen. So sollten zum einen die westlichen Staaten, und dabei besonders Europa und Kanada, zum anderen
asiatische Länder wie China und Japan, und letztlich die Gemeinschaft der lateinamerikanischen
Staaten zu einer stärkeren Wirtschaftskooperation ermuntert werden. Anfänglich avancierte
besonders die Europäische Union zu einem wichtigen Außenhandelspartner Kubas: Die Exporte
stiegen von sechs Prozent im Jahr 1990 auf 27,1 Prozent im Jahr 1994; die Importe aus der EU konnten im
gleichen Zeitraum von sieben Prozent auf 37,4 Prozent erhöht werden.
Mittlerweile sind jedoch die Volksrepublik China sowie Venezuela zu den Haupthandelspartnern Kubas
aufgestiegen, während die Handelsbilanz der Staaten der Europäischen Union gegenüber Kuba
im Jahr 2007 im Vergleich zum Vorjahr um insgesamt 13,33 Prozent von 2,4 auf 2,1 Milliarden Euro gesunken
ist. Gleichzeitig vergrößerte sich das Handelsvolumen zwischen Venezuela und Kuba seit 2001
von 460 auf mehr als 2 649 Millionen US-Dollar. Insgesamt kann konstatiert werden, daß sich die
kubanische Wirtschaft mit ihren seit einigen Jahren konstant hohen Wachstumsraten, wie zuletzt mit zirka
sieben Prozent, zumindest wirtschaftlich von den Folgen der großen Krise erholt hat.
Kubas Platz in der heutigen Welt
Der kubanischen Regierung ist es jedoch nicht nur gelungen, die wirtschaftliche Situation des Landes
zunächst zu stabilisieren und dann sukzessive zu verbessern, sondern auch die 1990 eingetretene Zeit
der politischen Isolation zu beenden. Inzwischen unterhält Kuba diplomatische Beziehungen zu 170
Staaten dieser Erde und gehört unter anderem den regionalen Wirtschaftsorganisationen ALADI
(Asociación Latinoamericana de Integración) und SELA (Sistema Económico
Latinoamericano) an. Darüber hinaus ist Kuba Gründungsmitglied der Assoziation karibischer
Staaten, besitzt Beobachterstatus in der Gruppe der 71 AKP-Staaten (Staaten aus Afrika, der Karibik und
dem Pazifik) und spielt eine äußerst aktive Rolle bei den Vereinten Nationen und in der »Gruppe
der 77«. Erst vor kurzer Zeit wurde Kuba zudem im Rahmen des Lateinamerika-Karibik-Gipfels
im brasilianischen Costa do Sauípe als 23. Mitglied in die im Jahr 1986 gegründete Rio-Gruppe
aufgenommen und somit die endgültige Rückkehr des Landes in die Gemeinschaft
lateinamerikanischer Staaten vollzogen.
Sogar die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die das sozialistische Land im Jahr 1962 auf Druck
der USA ausgeschlossen hat, ist heute mehrheitlich bereit, Kuba wieder aufzunehmen. Allerdings ist es nach
den jüngsten Äußerungen des kubanischen Staatspräsidenten fraglich, ob die politische
Führung der Karibikinsel überhaupt eine Rückkehr in die OAS anstrebt.
Waren die anfänglichen Bemühungen und diplomatischen Offensiven Kubas zu Beginn der 90er Jahre
bis Anfang des neuen Jahrtausends vor allem darauf gerichtet, neue Handelspartner für die
darniederliegende Ökonomie zu gewinnen, so sind heute aufgrund veränderter äußerer
Rahmenbedingungen politisch-ideologische Überlegungen zur treibenden Kraft der kubanischen Diplomatie
geworden. Denn mit der Herausbildung eines lateinamerikanischen Linksblocks unter der Führung
Venezuelas gewann Kuba nicht nur neue Handelspartner in seiner unmittelbareren Nähe hinzu, sondern
fand vor allem neue politische Verbündete. Diese neuen Bündnispartner, zu denen neben Venezuela
Bolivien, Ecuador und Nikaragua gehören, unterstützen Kuba nicht nur durch vorteilhafte und
solidarische Handelsbeziehungen, sondern stehen fest an der Seite des kubanischen Volkes und seiner
Regierung im Kampf für nationale Unabhängigkeit. Kuba wird dabei als Teil jener Bewegung
angesehen, die für eine Neuordnung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse im
südlichen Amerika eintritt und die bisher vorherrschende US-Hegemonie auf diesem Subkontinent
zurückdrängen will.
Als engster und mächtigster Verbündeter Kubas erweist sich dabei das von Hugo Chávez
regierte Venezuela. Die Beziehungen zwischen beiden Staaten sind durch umfassende Kooperation und
gegenseitige Unterstützung in nahezu allen Bereichen gekennzeichnet. So schickt Kuba beispielsweise
Zehntausende Angehörige des Gesundheits- und Bildungswesen nach Venezuela, während Caracas
täglich 90.000 Barrel Erdöl zu Sonderkonditionen liefert. Im Rahmen der ersten Auslandsreise von
Raúl Castro, die den kubanischen Präsidenten nach Caracas führte, wurden zudem 137 neue
Wirtschafts- und Kooperationsabkommen unterzeichnet, die ein Gesamtvolumen von ungefähr zwei
Milliarden US-Dollar besitzen.
Auch die Beziehungen zu China und Rußland scheinen mittlerweile über die rein ökonomische
Ebene hinauszugehen und den Charakter einer langfristig angelegten strategischen Partnerschaft anzunehmen.
Vor allem Rußland zeigte sich in jüngster Zeit besonders engagiert und entsandte im Dezember
2008 Kriegsschiffe des Nordflottenverbandes zu einem Besuch nach Havanna, um damit symbolisch den
»Wiederaufbau der Beziehungen« zu demonstrieren. Bei dem Besuch Raúl Castros am 1.Februar diesen
Jahres wurden zudem mehrere Verträge sowie ein Memorandum über die Prinzipien der strategischen
Partnerschaft zwischen beiden Ländern unterzeichnet.
Besonders die seit Beginn diesen Jahres stattgefundenen Besuche zahlreicher Staats- und Regierungschefs
bedeutender Staaten Südamerikas haben zu einer weiteren diplomatischen Aufwertung der Karibikinsel
geführt. Kuba ist somit außenpolitisch heute keineswegs mehr isoliert, sondern hat sich zu
einem festen Bestandteil des lateinamerikanischen Linksblocks entwickelt, der mittlerweile als ernst zu
nehmender Akteur innerhalb der aktuellen Weltordnung agiert.
Kontinuität und Führungswechsel
Die Bewältigung der schweren Wirtschaftskrise der 90er Jahre und die erfolgreiche Umgestaltung der
kubanischen Außenbeziehungen sind zwei zentrale Merkmale der ökonomischen Entwicklung Kubas in
den letzten 18 Jahren. Die zur Überwindung der seit 1990 aufgetretenen schwersten ökonomischen
Probleme ergriffenen Maßnahmen zeitigten zwar in wirtschaftlicher Hinsicht Erfolg, brachten aber
zugleich schwere soziale Verwerfungen mit sich. Vor allem die Legalisierung des US-Dollar, die Forcierung
des Tourismus sowie die Öffnung für ausländisches Kapital bedeuteten eine Spaltung der
bislang relativ egalitären kubanischen Gesellschaft in Dollarbesitzer und diejenigen, die keinen
Zugang zu den so wichtig gewordenen Devisen hatten.
Die politische Führung stellte jedoch von Beginn an klar, daß es keine Veränderungen des
Gesellschaftssystems geben werde. Auf dem IV. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) im Jahr
1991 wurde beschlossen, daß nicht nur die sozialen Errungenschaften und die nationale
Unabhängigkeit verteidigt werden müßten, sondern zugleich auch am Sozialismus festgehalten
werden sollte. Diese Politik wurde wenig später durch die Stärkung partizipatorischer Elemente
und eine Verfassungs- sowie Wahlrechtsreform untermauert; der sozialistische Charakter der Revolution
stand indes nie zur Disposition.
Weniger die Spezialperiode und ihre Folgen als vielmehr die Frage nach der Bedeutung von Fidel Castro
für den Fortbestand des politischen und gesellschaftlichen Systems beschäftigt seit dem 31.
Juli 2006 Kuba-Experten und Kommentatoren gleichermaßen. An diesem Tag wurde bekanntgegeben,
daß der bisherige Präsident des Staatsrats und Oberkommandierende der Streitkräfte (FAR)
seine Regierungsgeschäfte aus gesundheitlichen Gründen vorerst nicht mehr wahrnehmen könne.
Aus diesem vorübergehenden Rücktritt wurde nach 20monatiger Interimspräsidentschaft von
Raúl Castro am 24. Februar 2008 der endgültige Abschied Fidel Castros von der großen
politischen Bühne und mit der Übergabe der Staatsämter an seinen bisherigen Stellvertreter
eine neue Ära eingeleitet.
In den ersten Monaten der Regierung unter Raúl Castro wurden zahlreiche Reformen verabschiedet, die
zum einen die Landwirtschaft wiederbeleben sollen, um die kritische Situation der Nahrungsmittelversorgung
zu verbessern und zum anderen auf die Abschaffung von wirtschaftspolitischen Einschränkungen zielen.
Auch wurden bereits die UN-Pakte über die wirtschaftlichen und sozialen sowie über die
politischen und bürgerlichen Menschenrechte unterzeichnet. Zudem hat die Führung des Landes
angekündigt, die Sozialprogramme der Revolution in Zukunft gerechter und effektiver zu gestalten und
das Lohn- und Steuersystem zu reformieren. Auch die jüngst vorgenommenen personellen
Veränderungen innerhalb der kubanischen Regierung sind Ausdruck dieser pragmatischen Politik
Raúls, die den neuen Herausforderungen gerecht zu werden versucht.
Sozialistische Perspektiven
Trotz dieser beeindruckenden ökonomischen Entwicklung des Landes, die vor allem auch auf den
veränderten Kräfteverhältnissen im südlichen Amerika beruht, sollte nicht die innere
Verfaßtheit der kubanischen Gesellschaft außer acht gelassen werden. Obgleich sich die
wirtschaftliche Lage des Gros der Bevölkerung im Vergleich zu den Krisenzeiten der 90er Jahre zum
Teil erheblich verbessert hat und auf den ersten Blick nur noch wenig an die Zeit erinnert, in der das
Land nahezu gelähmt war, befindet sich das sozialistische Gesellschaftssystem heute vielleicht vor
seiner größten Herausforderung.
Denn 50 Jahre nach dem militärischen Sieg der Revolution wird die Zahl derer, die aktiv an dem
revolutionären Umsturz beteiligt waren, natürlicherweise immer weniger, währenddessen die
Zahl derer, die erst nach 1959 geboren wurden und die Verhältnisse vor der Revolution nicht aus
eigenem Erleben kennenlernen konnten, stetig steigt. Zwar steht jede Gesellschaftsformation vor diesem
»Generationenkonflikt«, im Falle Kubas ist jedoch vor dem Hintergrund der Spezialperiode diese Frage von
entscheidender Bedeutung. Schon in wenigen Jahren wird die übergroße Bevölkerungsmehrheit
nicht nur nach der Revolution geboren, sondern auch während und nach der Spezialperiode aufgewachsen
und sozialisiert worden sein und das egalitäre und revolutionäre Kuba vor allem nur noch aus
Erzählungen kennen.
Jetzt, da nunmehr seit fast drei Jahren die Identifikationsfigur der Revolution, Fidel Castro, nicht mehr
aktiv an der Politik teilnehmen kann, ist die Regierung unter Leitung Raúl Castros umso mehr
gefordert, die junge heranwachsende Generation wieder verstärkt für die Revolution und ihre
Werte und Ideale zu gewinnen und zu begeistern. Mit den bereits beschlossenen oder in Planung befindlichen
wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die zur Stärkung der nationalen Ökonomie beitragen und
damit auch die soziale Spaltung mittel- und langfristig überwinden sollen, wurden die entscheidenden
Schritte in die Wege geleitet, um die Vorraussetzungen für einen Fortbestand des kubanischen
Gesellschaftsmodells zu schaffen. Ob diese Anstrengungen jedoch letztlich erfolgreich sein werden und
Kuba weiterhin eine Alternative zu dem bestehenden kapitalistischen System bleiben wird, hängt nicht
zuletzt auch von unserem solidarischen Engagement für Kuba ab.
Steffen Niese ist Politikwissenschaftler aus Marburg. Sein Forschungsschwerpunkt ist Lateinamerika
Junge Welt, 21.04.2009
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