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Die Stringenz des Entwurfs von Che
Ein Wendepunkt in der kubanischen Geschichte – das Agrargesetz vor 50 Jahren


Selten ist ein derartig wichtiges Gesetz auf so unspektakuläre Weise in Kraft gesetzt worden. Und das in Lateinamerika, wo man großartige Gesten zu schätzen weiß. Am 17. Mai 1959 – gut fünf Monate nach dem Sieg über die Batista-Diktatur – unterzeichnete Fidel Castro in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident Kubas das Gesetz über die Agrarreform im Rahmen einer bescheidenen Zeremonie. Dazu hatte er einige Minister und Kampfgefährten sowie ein paar Journalisten geladen. Man traf sich in einem Holzhäu-schen hoch in den Bergen der Sierra Maestra, dem ehemaligen Hauptquartier der Rebellenarmee.
In seiner revolutionären Radikalität war dieses Gesetz für die westliche Hemisphäre einzigartig. Es sah die Enteignung des Großgrundbesitzes und die kostenlose Verteilung an diejenigen vor, die es bearbeiteten. Das Echo war vorerst – zumindest im Ausland – gering. Nur wenige begriffen damals die Tragweite dieses Ereignisses.

Kuba war vor 50 Jahren ein Land mit mittlerer kapitalistischer Entwicklungsstufe. Die Hälfte der kubanischen Bevölkerung lebte auf dem Lande. Die Teilung der Landbevölkerung in Arm und Reich war besonders krass. Die Mehrheit der kubanischen Landbevölkerung litt unter Mangelernährung und Parasitenerkrankungen. Ausgelaugt durch die schwere Arbeit wurde kaum einer älter als 50. Der Landbesitz konzentrierte sich in den Händen von wenigen Latifundistas, die ein Prozent der kubanischen Bevölkerung ausmachten (dazu gehörten auch die Eltern der Castro-Brüder) und nordamerikanische Unternehmen wie die United Fruit Company. Die Agrarfrage war die Grundfrage der kubanischen Revolution. Das wurde vom linken Flügel der »Bewegung des 26. Juli« (M-26-7) erkannt.

Ernesto Che Guevara war der Einzige aus der Führungsgruppe der Bewegung, der in der Lage war, dieses vom Inhalt so radikale Reformgesetz kurzfristig auszuarbeiten. Er war auch der Einzige, der in erster Person die Erfahrung der Agrarreformen in anderen Regionen des Kontinents (Bolivien und Guatemala) miterlebt hatte, die gerade an der Unentschlossenheit ihrer politischen Führungen auf sozialem Gebiet gescheitert waren. In aller Diskretion wurde seit März 1959 im Auftrag Castros von einer fünfköpfigen Gruppe unter Federführung Ches das Gesetz entworfen. Parallel dazu ließ Castro den Landwirtschaftsminister Humberto Sori Marin einen eigenen Entwurf erarbeiten.

Am 9. April rief Castro etwa einhundert Kader der »M-26-7« zu einer Art Aktivtagung zusammen. Es kam zu hitzigen Debatten. Sie fanden vor den Hintergrund massenhafter spontaner Landbesetzungen von Großgrundbesitz in den mittleren und östlichen Provinzen statt. Eine gesetzliche Regelung wurde immer drängender. Vertreter des rechten Flügels der »M-26-7« plädierten dafür, den Großgrundbesitzern Land abzukaufen und den Landlosen Kredite zum Erwerb dieser Ländereien einzuräumen. Che und Raul Castro plädierten für eine schnelle entschädigungslose Enteignung und kostenlosen Übergabe des Bodens an die besitzlose Landbevölkerung sowie für die Bildung von Kooperativen. »Wie sollten wir von dem, der den Boden bestellt, Geld dafür verlangen?«, fragte Che. Er verteidigte seine These »Der Guerillero ist wesentlich und an erster Stelle Agrarevolutionär« und erinnerte daran, dass die Rebellenarmee zu 80 Prozent aus Landarbeitern und kleinen Pächtern bestand, bei Offizieren zu 50 Prozent.

Aus den heute zugänglichen Dokumenten wird ersichtlich, dass Fidel Castro die Agrarreform offenbar noch lieber etwas hinausgeschoben hätte, um die kubanische Revolution nicht zu früh mit dem US-Imperialismus zu konfrontieren. Er erkannte aber die Priorität einer unverzüglichen politischen und sozialen Konsolidierung im Innern. So unterzeichnete er schließlich das Gesetz über die Agrarreform, das dem Che-Entwurf entsprach. Er unterschied sich wesentlich von dem des Landwirtschaftsministers. Sori Marins Entwurf war gespickt mit komplizierten Regelungen, deren Umsetzung Jahre gedauert hätte. Und er wies zu viele bürokratische Schlupflöcher auf, die es Großgrundbesitzern erlaubt hätten, Teile ihres Landes zu behalten. In zwei Punkten wurde Ches Entwurf leicht entschärft: Die Grenze für den entschädigungsfreien Grundbesitz wurde mit 400 Hektar relativ hoch gezogen und Enteignete erhielten einen begrenzten Anspruch auf Entschädigung.

Mit dem Gesetz wurden 10 000 Großgrundbesitzer enteignet. 2,9 Millionen Hektar Land, dessen Wert man damals auf eine Milliarde Dollar schätzte, wurde parzelliert und aufgeteilt. Alle, die als Pächter, Fremdansiedler oder Landarbeiter den Boden bewirtschafteten, bekamen das Land kostenlos. Eine fünfköpfige Familie erhielt mindesten 27 Hektar. Auf Zuckerrohrplantagen wurden Genossenschaften gebildet. Viehzuchtgüter wurden Staatseigentum. Mit der Agrarreform gewann eine Million Kubaner eine neue, menschenwürdige Existenz. Auf dem Land erhielt die Revolution eine solide Massenbasis. Ähnlich wie in Sowjetrussland 1918/1919 waren es auch in Kuba die Kleinbauern, welche in der schweren Anfangsphase das Überleben der Revolution sicherten. Sie bildeten die Bauermilizen, mit denen es gelang, die bewaffnete Konterrevolution niederzukämpfen. Gleichzeitig wurden die kubanischen Großgrundbesitzer und die US-Agrarkonzerne zu Todfeinden der Revolution. Fidel Castro erinnerte sich 20 Jahre später: »Es war das erste Gesetz, das einen wirklichen Bruch zwischen der Revolution und den reichsten und privilegiertesten Schichten des Landes zur Folge hatte. Auch den Bruch mit den USA.« Von dem Gesetz war auch Castros Familie berührt; deren Finca wurde als eines der ersten Güter enteignet. Einzig das Wohnhaus blieb der Mutter von Fidel noch bis zu ihrem Tod 1963.

20 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Kubas werden noch heute von Einzelbauern bearbeitet, weitere 35 Prozent von Agrargenossenschaften. Kaum einer wagt zu bestreiten, dass die Lebensbedingungen der kubanischen Bauern die besten in Lateinamerika sind. Sie wissen, dass der Boden, den sie beackern und auf dem ihre Häuser stehen, vor der Revolution der United Fruit, den Bacardi und anderen Kapitalisten gehört hatte. Und die wollen ihren Besitz zurückhaben. Dieses »Recht« haben sie sich vor US-Gerichten bereits erstritten.

Neues Deutschalnd Johnny Norden
Neues Deutschland 16.05.2009









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