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»Obama ist ein Pragmatiker«
Chancen der »Cuban Five« auf Revisionsverfahren unter neuem US-Präsidenten nicht größer als unter Amtsvorgänger Bush. Ein Gespräch mit Rechtsanwalt Leonard Weinglass
Der New Yorker Bürgerrechtsanwalt Leonard Weinglass gehört dem Verteidigungsteam der weltweit
als »Cuban Five« bekannten fünf kubanischen Patrioten an, die in den USA inhaftiert sind, weil sie
ihr Land vor weiteren terroristischen Anschlägen bewahren wollten. Weinglass vertritt den Gefangenen
Antonio Guerrero
Können Sie uns einen Ausblick geben auf die nächsten Termine in dem langwierigen
juristischen Verfahren, dem die Cuban Five unterworfen sind?
Eigentlich wäre die Staatsanwaltschaft am 6. Mai an der Reihe gewesen, auf unsere Anträge zu
reagieren, den Fall vor dem Obersten Gerichtshof der USA zu verhandeln. Doch eine Woche vor diesem Termin
ersuchte die Staatsanwaltschaft zum dritten Mal um eine Fristverlängerung, diesmal bis zum 28. Mai,
die vom Gericht gewährt wurde. Die Staatsanwaltschaft beantragte sodann die Ablehnung unserer
Anträge, woraufhin wiederum eine Frist von zehn Tagen für unsere Gegenvorstellungen einsetzte.
Nun erwarten wir eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bis zum 22. Juni. Da wir damit aber sehr nahe
an den Termin kommen, an dem sich das Gericht in seine turnusmäßige Sommerpause begibt,
könnte dies auch erst im Herbst erfolgen.
Wenn das Gericht positiv entscheidet und sich des Falles annimmt, wann wird es dann voraussichtlich
darüber verhandeln?
Nach weiteren Schriftsätzen von beider Parteien würde der Fall dann wahrscheinlich im November
2009 verhandelt. Im Januar oder Februar 2010 wäre dann eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu
erwarten. Aber das sind alles Vermutungen.
Soweit bekannt, verhandelt das Oberste Gericht nur etwa zwei Prozent aller zur Revision
vorgebrachten Fälle. Ist das zutreffend?
Die Zahl liegt sogar noch unter dieser Marke von zwei Prozent. Derzeit liegen dem Gericht etwa 2.000
entsprechende Gesuche vor, in denen es um eine Überprüfung der Urteile gebeten wird, und von
diesen werden schätzungsweise nur 70 Fälle zur Entscheidung angenommen.
Gibt es noch andere Aspekte, die Einfluß auf den Entschluß des Obersten Gerichtshofs
haben?
Dazu gehören die »Amicus briefs«. Die von »Freunden des Gerichts« (Amicus curiae) als Petitionen
eingereichten Schriftsätze sind Stellungnahmen Dritter, die nicht Partei im juristischen Verfahren
sind, aber dem Gericht ihre Sicht der Dinge insofern mitteilen, wie der Straf- oder Zivilprozeß
öffentliche Interessen der USA oder der Petitionssteller berührt. In etwa ein- bis zweihundert
der 2.000 Fälle werden solche Petitionen eingereicht. Normalerweise sind das jeweils ein bis zwei
Petitionen, in Ausnahmefällen auch drei oder vielleicht vier. In unserem Fall gab es elf »Amicus
briefs« von in- und ausländischen Gruppierungen und Vereinigungen, preisgekrönten Dichtern,
Rechtsanwälten und Richtern, die der Meinung sind, daß das Gericht den Fall wegen seiner
internationalen und nationalen Implikationen überprüfen sollte.
Welchen Einfluß könnten solche Petitionen von hochkarätigen Kreisen tatsächlich
haben?
Es ist schwer, das Ausmaß dieser Einflußnahme einzuschätzen. Von den obersten Richtern
haben einige offen ihr Interesse an solchen internationalen Meinungsbekundungen zum Ausdruck gebracht.
Andere Richter wiederum haben ihre Geringschätzung geäußert. Aber ungeachtet der Frage,
wie stark der Einfluß ist, können wir sagen, daß diese »Amicus briefs« eine Rolle spielen.
Es hilft in unserem Fall sehr, daß wir Freunde an unserer Seite haben, die dem Gericht klarmachen,
daß die Welt wachsam ist. Das Schlimmste, was einem im Justizsystem der USA passieren kann, ist,
daß man allein ist. Aber die Cuban Five sind ganz sicher nicht allein.
Von denen, die solidarisch sind mit den Kubanern, geht ein gewisser Optimismus aus, daß der neue
US-Präsident Veränderungen einleitet und sich gegenüber seinem Vorgänger in eine
andere Richtung bewegt. Glauben Sie, daß es für die Cuban Five bessere Chancen für
Gerechtigkeit unter Barack Obama gibt?
Das ist nicht so einfach zu beantworten. Als nächstes wird die Generalstaatsanwältin
(Elena Kagan – jW) zu unseren Anträgen Stellung nehmen. Wir erwarten, daß die Antwort der
US-Regierung unter einem US-Präsidenten Obama die gleiche sein wird wie unter einem Präsidenten
Bush. Mit aller Macht werden sie sich dagegen stellen, daß der Oberste Gerichtshof diesen Fall zur
Revision annimmt. Bezüglich dieser Position erwarten wir keinerlei Wandel.
Tom Goldstein, der Leiter unseres Anwaltsteams für die Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof, hat
in einem Schreiben an die Generalstaatsanwältin ausgeführt, daß das 11.
US-Bundesberufungsgericht in Atlanta in seiner Entscheidung über die Ablehnung afroamerikanischer
Geschworener sich in diesem Fall einer Regelung bedient hat, die zuvor noch kein anderes US-Gericht
angewendet hat. Gemeint ist die »Per se«-Regelung, die es der Staatsanwaltschaft erlaubt,
afroamerikanische Geschworene solange abzulehnen, wie der zwölfköpfigen Jury noch Afroamerikaner
angehören und solange die Staatsanwaltschaft die Macht hat, diese verbleibenden Afroamerikaner aus
der Jury zu entfernen, es aber nicht tut. Das klingt technokratisch, ist aber der Inhalt der »Per
se«-Regelung. Nur das 11.Bundesberufungsgericht, das zuständig ist für die berüchtigten
Südstaaten Georgia und Alabama sowie Florida, hat sich diese Regelung zu eigen gemacht. Und wir haben
die Generalstaatsanwältin durch Tom Goldsteins Schreiben ersucht, die Tragweite dieser Regelung zu
berücksichtigen, weil den Staatsanwälten damit faktisch grünes Licht gegeben wird, befangen
und voreingenommen gegen afroamerikanische Geschworene zu sein, ohne ihr Verhalten begründen zu
müssen.
Wir hoffen, daß es jetzt eine neue Sensibilität im Amt der Generalstaatsanwältin gibt, die
es dort vorher nicht gab. So ein Vorgehen zu erlauben ist völlig inakzeptabel. Nachdem Tom Goldstein
die Generalstaatsanwältin als Vertreterin der US-Regierung mit seinem Schreiben gebeten hatte, dieses
Vorgehen zu überdenken, gab es darauf aber keine inhaltliche Reaktion, sondern nur den Antrag auf die
zweiwöchige Fristverlängerung, um sich näher mit dem Fall befassen zu können.
Obama muß nun einen neuen Richter für den Obersten Gerichtshof ernennen, weil ein Sitz
frei wurde. Glauben Sie, daß er jemanden einsetzen wird, der fortschrittlich ist? Oder kann es so
etwas wie einen progressiven Richter am Obersten Gerichtshof der USA gar nicht geben?
Nein, ich glaube nicht, daß es so jemanden geben kann. Zum ersten Mal seit hundert Jahren befindet
sich unter den neun obersten Richtern nicht einer, der gegen die Todesstrafe wäre. Früher gab es
immer wenigstens einen, manchmal sogar zwei, und ich glaube, in der besonderen politischen Situation der
1960er Jahre hatten wir sogar drei. Heute aber verfügt dieses Gericht nicht einmal über einen,
der aus prinzipiellen Erwägungen gegen die Todesstrafe wäre. Barack Obama selbst ist in Fragen
des Verfassungsrechts kein Liberaler, sondern man nennt ihn einen Pragmatiker, was nur ein vornehmerer
Begriff ist für Konservativer.
Der Fall der Cuban Five berührt unmittelbar die Staatsdoktrin der nationalen Sicherheit, weshalb es
schwer fällt, optimistisch zu sein. Präsident Obama hat klargemacht, daß er bei der
Besetzung des vakanten Richterpostens nicht ideologisch entscheiden wird, was bedauerlich ist, da der
rechte Flügel dieser Richter streng ideologisch ausgerichtet ist.
Worauf wird Obamas Entscheidung sich dann gründen?
Er verweist darauf, daß sie »pragmatisch« sein wird. Seine Wahl werde, wie er es sagt, auf jemanden
fallen, der die Stimmungen und die Gemütslage des amerikanischen Volkes versteht. Aber das ist nicht
die Rolle des Obersten Gerichtshofs. Er sollte vielmehr gerade ein Bollwerk sein gegen die Stimmungen und
Gemütslagen der amerikanischen Öffentlichkeit und die Rechte der Minderheiten und der Machtlosen
schützen. In dieser Frage scheint Konfusion vorzuherrschen. Wie meine Kollegen der National Lawyers
Guild bin auch ich immer für die letztere Position eingetreten.
Das Gespräch führte Bernie Dwyer für das englischsprachige Programm von Radio Havanna. Übersetzung aus dem Englischen von Jürgen Heiser
Junge Welt, 06.06.2009
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