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Internationalismus der Tat
Zum Tod von Reinhard Thiele
»Nach so viel Zeit und so viel Sturm / folgen wir weiter diesem langen Weg / diesem langen Weg, dem auch
du folgst«
(Gerado Alfonso, »Es sind immer noch die Träume«, Widmung an Che)
Reinhard Thiele ist tot. Der Mitbegründer von Cuba Sí verstarb am 5.Juni nach schwerer
Krankheit im Alter von 53 Jahren in Berlin. Mit ihm verliert die internationale Kuba-Solidarität
einen ihrer prägenden Köpfe. Ein guter Freund, Genosse, Kampfgefährte fehlt in Zukunft.
Er wußte, wann er gebraucht wurde. 1990, als der Sozialismus in Europa niederging und Apologeten
aller Lager ein schnelles Ende auch des freien Kuba vorhersagten, gingen er und seine Freunde für die
»rote Perle der Karibik« auf die Straße. Als dann der Internationalismus, eine der großen
Errungenschaften der DDR, abgewickelt wurde; als Verträge mit Studenten und Auszubildenden und
Arbeitern aus dem sozialistischen Kuba gekündigt wurden; da war dies der Anlaß für die
Gründung von Cuba Sí als Arbeitsgemeinschaft innerhalb der SED/PDS. Ein genaues
Gründungsdatum gibt es nicht, doch wurde am 26. Juli 1991 gefeiert, dem Jahrestag des Sturms von
Fidel Castro und Genossen auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba 1953. Da war der Kreis der Aktiven
noch klein.
Die Organisation wuchs unter maßgeblicher Beteiligung von Reinhard und der 2006 ebenfalls viel zu
früh verstorbenen Marion Gerber. Reinhard Thiele war bis zuletzt ihr Sprecher und Koordinator, ein
Garant dafür, daß sich Cuba Sí einerseits um die konkrete Verbesserung von
Lebensbedingungen der Menschen auf der Karibikinsel kümmerte, andererseits solidarisch und kritisch
die politischen Prozesse im Lande begleitete. Das gefiel innerhalb und außerhalb der Partei nicht
allen. »Die PDS-Arbeitsgemeinschaft Cuba Sí verherrlicht das Castro-Regime in Havanna – peinlich
für die Parteispitze um Bisky und Gysi«, überschrieb beispielsweise der Spiegel im April 1996
einen Beitrag. Cuba Sí verstehe sich als »Castros deutsche Lobby«, und Reinhard Thieles
Kuba-»Propaganda« stünde im »krassen Widerspruch zur Parteilinie«. Trotzdem sei die Arbeit sehr
erfolgreich – zu erfolgreich für den Spiegel, der forderte, »die Arbeitsgemeinschaft müsse
schleunigst aufgelöst werden«.
Insbesondere die schon sagenhafte materielle Unterstützung, die Cuba Sí aufbrachte, waren den
Herrschenden hierzulande mehr als nur ein Dorn im Auge. Die imperialistischen Organisatoren von Embargo
und Propagandakampagnen gegen den »Socialismo tropical« setzten auf Isolation und Aushungern. Kuba,
verlassen von den ehemaligen Handelspartnern in Europa, kämpfte ums Überleben. Und Cuba
Sí produzierte »Milch für Kubas Kinder« – und zwar auf der Insel selbst. Ein großartiges
Projekt. Hunderttausenden wurde das Überlebensmittel gesichert. Das geschieht bis heute in inzwischen
zehn Solidaritätsprojekten auf Kuba.
Irgendwann zu Beginn des Jahres 2003 erfuhr Reinhard Thiele abends in den Fernsehnachrichten vom Boykott
der kubanischen Buchmesse ausgerechnet durch das »Ehrengastland« Deutschland. »Das wird nichts«,
kommentierte er sofort. Und es wurde nichts. Reinhard Thiele initiierte die Gründung des »Büros
Buchmesse Havanna«. Gemeinsam konnten Cuba Sí und junge Welt – mit Unterstützung des
Netzwerkes Cuba und mit bis zu 56 Verlagen in den Jahren 2004 bis 2007 – dafür sorgen, daß die
BRD in Havanna vertreten war – trotz Boykott der Bundesregierung.
Die erfolgreiche Zusammenarbeit von Cuba Sí und junge Welt reicht bis Mitte der 1990er Jahre
zurück. 1994, als die Kubaner die härtesten Entbehrungen zu verkraften hatten, versuchten
Hunderte Kubaner abenteuerliche Fluchten auf selbstgezimmerten Booten. Die Hetze gegen Kuba erreichte in
Europa einen besonderen Höhepunkt. Da regte Reinhard Thiele eine gemeinsame
Solidaritätsveranstaltung von Cuba Sí und junge Welt im Audimax der Humboldt-Universität
zu Berlin an. Der Mut lohnte sich, der Saal war brechend voll. Und es war der Beginn einer engen und
streitbaren Freundschaft. Zum einen zwischen dieser Zeitung und Cuba Sí, aber auch zwischen
Reinhard und dem Autor dieser Zeilen.
Reinhard organisierte meine erste Kuba-Reise zum internationalen Solidaritätstreffen im Teatro Carlos
Marx in Havanna – nicht ohne Hintergedanken wohl: Danach hat auch mich dieses Land nicht mehr losgelassen.
Es folgten die Internationale Che-Guevara-Konferenz und die inzwischen fest etablierte
Rosa-Luxemburg-Konferenz im Januar jeden Jahres, ein internationaler Kuba-Solidaritätskongreß
2001 in Berlin und die gemeinsame Arbeit auf den Buchmessen in Havanna, Leipzig, Frankfurt am Main und
Nürnberg, um nur einige wichtige Stationen zu benennen.
Reinhard war ein Mensch, der skeptisch und kritisch war. Der aber zugleich immer konsequent das von ihm
als notwendig Erkannte tat. Und in hektischen, komplizierten Situationen wirkte er als ruhender Pol,
obwohl es, wie ich weiß, in ihm brodelte. Die politische und materielle Solidarität mit Kuba
wird fortgeführt, dafür hat er gesorgt. Trotzdem wird er uns als aufrichtiger, energischer,
selbstbestimmter, mitunter auch unbequemer Mitstreiter fehlen – und als ehrlicher Freund. Gemeinsam mit
der Kuba-Solidaritätsbewegung, aber auch mit seiner Companera Heike und den Söhnen Tobias und
Florian werden wir diesen Kampf weiterführen – hasta la victoria siempre.
Dietmar Koschmieder
Junge Welt, 13.06.2009
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