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Keine Zeit für Parteitag in Kuba
6. KPK-Kongress wurde unbefristet verschoben / Wirtschaftsprobleme haben Vorrang
Die großen politischen Leitlinien werden in Kuba vorerst nicht neu bestimmt. Priorität hat die
Bewältigung der akuten Wirtschaftsprobleme. Diese Grundbotschaft übermittelte Präsident
Raúl Castro der jüngsten Tagung der Nationalversammlung.
Die Gerüchte haben sich bestätigt: Der 6. Parteikongress der Kommunistischen Partei Kubas wird
in nächster Zeit nicht stattfinden. Zwölf Jahre sind bereits seit dem letzten Kongress vergangen
und der einstige Turnus – alle vier oder fünf Jahre seit dem ersten Kongress 1975 – ist längst
ad acta gelegt worden. Vor allem als Folge des Zusammenbruchs der real existierenden sozialistischen
Staaten Europas, mit denen Kuba an die 80 Prozent seines Handels zu Vorzugsbedingungen abwickelte.
Aus Überlebensgründen war die Karibikinsel gezwungen, auf die normalerweise unantastbaren
strategischen Reserven zurückzugreifen. Dennoch brach das Bruttoinlandsprodukt binnen dreier Jahre
um 35 Prozent ein, und auch die Legalisierung des Dollars 1993 als nationale Zweitwährung mit zigfach
stärkerer Kaufkraft als der kubanische Peso war aus der Not geboren. Und die andauernde Blockade
sorgte dafür, dass sich jede Ware, die mit Müh und Not erworben werden konnte, zum Teil
unmäßig verteuerte – außer Importen aus China und Vietnam. Die KP-Führung hatte
weder Bewegungsfreiheit noch Mittel, um einen Parteitag abzuhalten, der in der Lage gewesen wäre,
rationell und realistisch den Weg für die kommenden fünf Jahre abzustecken.
Außerdem schleppte das Land zusätzlichen Ballast aus der Zeit mit sich herum, als es von Moskau
bis Berlin noch als Leuchtturm des Sozialismus in Amerika gehätschelt wurde und über seine
Verhältnisse lebte. Für Fidel Castro »war wohl einer unserer größten Irrtümer zu
glauben, dass jemand genau wisse, wie der Sozialismus zu machen ist«. Das sagte der Comandante 2005, und
sinngemäß dazu, dass die Revolution nur von ihren eigenen Mitstreitern zerstört werden
könne. Sein Nachfolger Raúl weiß, dass sich die Umstände im Großen und Ganzen
geändert haben, dass Kubas hohe Kunst des Überlebens und die Bereitschaft der
Bevölkerungsmehrheit, ihre Führung bei dieser Gratwanderung zu begleiten, vorhanden sind.
Raúl Castro weiß um das hohe Prestige im Ausland, das durch die Tausenden Ärzte,
Paramediziner, Krankenschwestern und Krankenpfleger, Lehrer und Trainer genährt wird, die Kuba all
jenen Ländern zur Verfügung stellt, die sie nötiger haben als Kuba selbst. Und so erteilte
er vor einer Woche all jenen eine Abfuhr, die von Kuba Schritte erwarten, »unseren imperfekten
Sozialismus« aus der Welt zu schaffen. »Aber ich bin nicht zum Präsidenten gewählt worden, um
den Kapitalismus wiederherzustellen. Ich wurde gewählt, um den Sozialismus zu verteidigen, zu
erhalten und zu perfektionieren, nicht um ihn zu zerstören.«
Er erinnerte die Abgeordneten an den Artikel 46 des Statuts der KPK, in dem es heißt: »In der Zeit
zwischen den Parteitagen kann das Zentralkomitee zu einer nationalen Konferenz aufrufen, die sich mit den
anstehenden wichtigen politischen Problemen befasst«. Darauf läuft es hinaus: In absehbarer Zeit wird
eine nationale Konferenz die Funktionäre der Leitungsgremien der Partei wählen, viele neue
Jüngere, die den Parteitag vorbereiten. Die gesamte Bevölkerung wird einbezogen, nicht nur die
Mitglieder der Partei.
Es wird wohl ähnlich werden wie im Sommer 2007, als die Kubaner aufgerufen worden waren, den am 26.
Juli in Camagüey vorgetragenen Rechenschaftsbericht der Partei zu diskutieren. 5,1 Millionen nahmen
daran teil, 3,2 Millionen meldeten sich mit 1,3 Millionen konkreten Anliegen zu Wort, 48,8 Prozent
kritisch. Die meisten zum Thema Landwirtschaft und Versorgung mit Lebensmitteln, Streichung von
unnötigen Importen, zur Korruption in den Behörden, zur oft nicht akzeptablen Schluderei im
Wohnungsbau, den Mängeln im Personentransport, der Verschwendung von Energie. »Das alles ist nicht
in ein Fass ohne Boden gefallen«, versicherte Raúl Castro.
Nur einmal verlor der kubanische Präsident ein wenig die Fassung, als er die Tatsache erwähnte,
dass die Regierung jeden befähigten brachliegenden staatlichen Boden zum Nießbrauch angeboten
hat, aber bisher nicht einmal die Hälfte an den Mann oder die Frau gebracht werden konnte. »Wir haben
den Boden, hier sind die Kubaner, wir sehen, ob sie arbeiten oder nicht, jetzt nützt es (dem Land)
nichts, Vaterland oder Tod, oder nieder mit dem Imperialismus, oder die Blockade erdrückt uns zu
schreien, nein, der Boden erwartet unseren Schweiß!« Kuba musste im vergangenen Jahr Lebensmittel
im Wert von 2,8 Milliarden Dollar einführen – und Tausende Hektar Boden liegen brach.
Und was wird mit den Hurrikans? Drei haben 2008 einen Schaden von zehn Milliarden Dollar angerichtet. Bis
jetzt ist hier alles völlig normal: Sehr heiß, Tag für Tag kurze, aber heftige Gewitter.
Für Kuba wird es ohnehin erst ab September gefährlich. Die Kubaner hoffen, dass das
Klimaphänomen Niño sie dieses Jahr auslässt .
Leo Burghardt, Havanna
Neues Deutschland 10.08.2009
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