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»Wir kämpfen um Gerechtigkeit«
Heute vor elf Jahren wurden die »Miami 5« unter falschen Anschuldigungen verhaftet. Die kubanischen Kundschafter sollten Anschläge auf ihr Land verhindern. Ein Gespräch mit Raúl Becerra Egaña
Raúl Becerra Egaña ist seit dem 3. September als Botschafter Kubas in der Bundesrepublik
akkreditiert. Er studierte von 1964 bis 1969 an der Hochschule für Ökonomie in Berlin/DDR und
war vor seiner Berufung zum Botschafter Präsident der Handelskammer Kubas
Seit elf Jahren sitzen »Los Cinco« in den USA hinter Gittern. Sie wurden zusammen mit fünf weiteren
Landsleuten am 12. September 1998 als »Agenten« verhaftet, weil sie im Auftrag ihrer Regierung die
antikubanischen Terrornetzwerke in Florida auskundschaften sollten. Ziel war es damals, weitere
Anschläge auf der Insel zu verhindern. Am 15. Juni hat es der Oberste Gerichtshof der USA abgelehnt,
sich mit einer Wiederaufnahme des Verfahrens zu befassen. Ist der juristische Weg damit verbaut?
Durch diese Weigerung, den Fall zu überprüfen, hat der Oberste Gerichtshof tatsächlich alle
juristischen Möglichkeiten verschlossen. Was bleibt, ist das Verfahren zu Neubemessung der Strafen
für Ramón Labañino, Antonio Guerrero und Fernando González vor dem Gericht in
Miami, allerdings mit derselben Richterin, die schon 2001 das Strafmaß festlegte. Im September 2008
hat ein Berufungsgericht in Atlanta entschieden, daß die Urteile gegen diese drei fehlerhaft sind
und die Verfahren zurück nach Miami verwiesen. Eine gegen die USA gerichtete Tätigkeit habe
nicht bewiesen werden können. Dieses neue Verfahren in Miami wird für Mitte Oktober erwartet.
Wir verlangen, daß das Gericht sie auf freien Fuß setzt.
Anders steht es im Fall von Gerardo Hernández. Er erhielt zweimal »lebenslänglich« plus 15
Jahre Haft. Das Berufungsgericht in Atlanta erklärte vor einem Jahr, daß seine Strafe nicht
neu bemessen werden muß, da er ohnehin zu zweimal »lebenslänglich« verurteilt worden sei.
Was bleibt an Möglichkeiten? Der US-Präsident hat die verfassungsmäßige
Autorität und die moralische Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß Gerechtigkeit geübt
wird. Darum müssen wir kämpfen. Der Präsident der Vereinigten Staaten kann ohne weiteres
die Hauptanklage gegen unsere Landsleute zurückziehen, die Entscheidung liegt bei Barack Obama.
Spielt das Thema der fünf bei den Verhandlungen, die derzeit zwischen Kuba und den USA laufen,
eine Rolle?
Nein. Die Runde, die vor etwa zwei Monate in Washington stattfand, bezog sich auf andere Fragen. Es geht
aber auch um eine Erklärung von Präsident Raúl Castro. Die USA klagen über
politische Gefangene in Kuba. Es handelt sich aber um Leute, die nationale Gesetze verletzt haben, aus
diesem Grund sind sie im Gefängnis. Kuba könnte sie alle freilassen, wenn die USA unsere
fünf Genossen auf freien Fuß setzen.
Wie geht es den fünf, dürfen Angehörige sie besuchen?
Moralisch geht es ihnen gut. Dabei spielt die große internationale Solidarität, die sie selbst
in den Gefängnissen der USA spüren, eine wichtige Rolle. Die Gefangenen haben aber nicht die
Möglichkeit, Verwandte regelmäßig zu empfangen. Die USA haben erneut die Visa für
Adriana Pérez (Ehefrau von Gerardo Hernández) und Olga Salanueva (Ehefrau von René
González) abgelehnt. Normalerweise erhalten Gefangene mindestens einmal jährlich Besuch, bei
ihnen wird es seltener erlaubt. Für die Familien ist das grausam. Mit dem Gesetz hat das nichts zu
tun. Das besagen auch Vergleiche: Wer z. B. in den USA für den Irak spioniert hat, wurde nicht so
hart bestraft.
Von Obama war zu hören, daß das Verhältnis zu Kuba entspannt werden soll. Wie sehen
Sie den derzeitigen Zustand der Beziehungen?
Es gibt einige kleine Schritte, die positiv sind. Die Rhetorik ist nicht mehr so scharf, und wir haben
eine neue Regelung für Reisen nach Kuba aus den USA. Kubaner, die dort leben, dürfen jetzt ihre
Familien in Kuba besuchen. Präsident George W. Bush hatte seinerzeit angeordnet, daß Kubaner,
die in den USA wohnen, nur einmal in drei Jahren ihre Angehörigen in Kuba besuchen dürfen. Und
es wurde streng festgelegt, wer zur Familie zählt – das waren die Eltern. Die Kubaner aus den USA
können jetzt ihre Verwandten besuchen, so oft und so lange sie wollen. Das ist ein kleiner Schritt.
Die übrige Blockade bleibt, es gab sogar eine gewisse Verschärfung. In den letzten Monaten
wurden zahlreiche Banken und Firmen von den USA verfolgt, die irgendeine Art von Beziehung zu Kuba hatten.
Erst kürzlich schrieb Comandante Fidel Castro in einer seiner »Reflexionen« über das Verbot,
Ersatzteile für medizinische Geräte nach Kuba zu liefern. Wir haben darüber einen Vertrag
mit der Firma Philips. 2004 und 2006 hat sie große Mengen an Medizintechnik für etwa 70
Millionen Dollar nach Kuba und nach Venezuela geliefert. Es handelt sich um sehr teure Geräte, die
für die Versorgung der Bevölkerung beider Länder nötig waren. Jetzt haben die USA
verboten, für diese Technik Ersatzteile zu liefern.
Wie läßt sich auf den Fall der fünf Einfluß nehmen? Die Motivation der
fünf rührte ja daher, daß schon 3478 Menschen getötet und 2099 schwer verletzt worden
waren – bei Anschlägen, die von Miami aus geplant worden waren. Die Vereinten Nationen haben dazu
mehrfach Berichte entgegengenommen, dennoch kam es zu keiner Verurteilung durch die UNO. Kürzlich war
der Präsident der UN-Generalversammlung, Miguel D’Escoto Brockmann, zu Besuch in Havanna. Gibt es
Anzeichen, daß die UN sich anders verhalten werden?
Miguel D’Escoto hat in Kuba eine Erklärung abgegeben, in der er ausführt, daß der
Prozeß gegen die fünf willkürlich und politisch war. Er hat versprochen, daß er zur
Eröffnung der UN-Vollversammlung in der kommenden Woche entsprechend Stellung nehmen wird. Das ist
sehr wichtig.
Welche Unterstützung gibt es von anderen Staaten?
Vor der Entscheidung vom Juni wurden viele Briefe an den Obersten Gerichtshof der USA von offiziellen
Stellen gerichtet. Es äußerten sich u.a. zehn Nobelpreisträger, viele
Parlamentsabgeordnete auch aus der Bundesrepublik, Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und
kirchliche Gruppierungen. Sie hatten vor allem die Bitte, den Fünf einen fairen Prozeß zu
gewähren oder ihn zu forcieren. Aber wie Sie wissen, fand das kein Echo.
Die Schäden durch das von den USA gegen Kuba verhängte Embargo sind enorm, Sie haben ein
Beispiel genannt. Derzeit kommt hinzu, daß sich auch die Entwicklung der Weltmarktpreise negativ
auswirkt. Kuba hat 2009 mehrfach seine Prognosen für das Wirtschaftswachstum nach unten korrigiert.
Als Ursachen wurden die Hurrikanschäden und der sinkende Weltmarktpreis für Nickel genannt. Der
steigt jetzt wieder...
...aber nicht auf die frühere Höhe...
Verbessert sich die Situation?
Zunächst waren langfristige Planungen zu korrigieren, d. h. es wurden viele Investitionen gestrichen
oder aufgeschoben. Weiter wurde eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, vor allem in der Landwirtschaft,
um die Nahrungsmittelproduktion in Kuba zu erhöhen. Sie ist in den letzten Monaten sehr erfreulich
gestiegen. Und wir arbeiten daran, Kontinuität zu schaffen, um soweit wie möglich den Import von
Nahrungsmitteln zu verringern. Das hat in der Milchproduktion, beim Reisanbau, aber auch bei der
Fleischerzeugung zu Erfolgen geführt, und der Import ist gesunken. Bei allem steht aber fest: An den
sozialen Regelungen, im Bildungs- und Gesundheitswesen gibt es keine Abstriche.
Der Verlust der Handelspartner in den sozialistischen Ländern Europas war für Kuba ein
verheerender Einschnitt. In der sogenannten »Spezialperiode« wurden Maßnahmen ergriffen, die zu
sozialen Ungleichheiten geführt haben. Das betrifft insbesondere die Unterschiede zwischen Besitzern
von US-Dollars und denen, deren Einkommen aus nationalen Peso besteht. Welche Möglichkeiten gibt es,
die Ungleichheit zu verringern?
Anfang der 90er Jahre mußten einige Maßnahmen ergriffen werden, um das Wirtschaftssystem zu
stabilisieren und das Leben der Kubaner zu sichern. Eine war die Ankurbelung des Tourismus, der heute eine
wichtige »Industrie« Kubas ist. Dadurch kamen sehr viele Dollars ins Land. Wir möchten so schnell wie
möglich die zwei Währungen im Land und die damit verbundenen Differenzen beseitigen. Es geht
darum zu erreichen, daß die Menschen entsprechend dem leben, was sie leisten. Ein Arzt oder ein
Landwirt, der eine gute Arbeit macht, muß auch ein angemessenes Gehalt dafür bekommen. Sein
Lebensstandard darf nicht davon abhängen, ob er eine Familie in den USA hat. Das Schwerste haben wir
überstanden, jetzt geht es um Verbesserungen.
Der Parteitag der KP Kubas ist verschoben worden. Heißt das, daß an den Konzepten noch
längerfristig gearbeitet wird?
Das wird ein wichtiger Parteitag sein, der sehr gut vorbereitet werden muß. Wir brauchen etwas Zeit,
um all die Probleme, die wir auf dem Parteitag behandeln möchten, mit der ganzen Bevölkerung zu
diskutieren. Deswegen wurde er um einige Monate verschoben.
Interview: Gerd Schumann und Arnold Schölzel
Junge Welt, 12.09.2009
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