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»Sie ist keine Bloggerin«
Die international hofierte kubanische Internet-Publizistin Yoani Sánchez stößt bei
ihren Kollegen auf wenig Gegenliebe. Gespräch mit Norelys Morales Aguilera
Norelys Morales Aguilera lebt auf Kuba und betreibt von dort aus die Seite »Meine Insel«:
islamiacu.blogspot.com
Unter dem Namen »Isla Mía« (Meine Insel) betreiben Sie eine Homepage im Internet. Ist es
schwierig, eine solche Seite von Kuba aus zu aktualisieren?
Seit Ende 2005 verwalte ich einen Blog, ein Internettagebuch. Am Anfang habe ich mit einem einfachen
Bloggerdienst begonnen, aber nachdem ich gelernt hatte, mit der Technik zu arbeiten, habe ich meinen Blog
zu blogger.com übertragen. Das ist sicherlich ein guter Dienst, auch wenn man bessere Produkte nutzen
kann, wenn man dafür bezahlt. Aber in meinem Fall, wie auch für den Rest meiner Kollegen, ist
das nicht möglich. Selbst wenn ich das Geld hätte, könnte ich es auf keinem Weg bezahlen,
außer in bar. Es wird uns Kubanern, die auf der Insel leben, von den USA verweigert, irgend etwas
bei nordamerikanische Banken einzuzahlen oder von dort Geld zu empfangen.
Ich habe 80 Stunden im Monat Zugang zum Internet, das ist die Zeit, die der Mehrheit der kubanischen
Journalisten in ihren Wohnungen zur Verfügung steht. Und von zu Hause aus pflege ich auch meinen
Blog. Die Internetverbindung Kubas läuft derzeit über Satellit, ist also teuer und langsam. Ganz
Kuba verfügt momentan über eine Bandbreite von 180 Megabyte beim Senden und 320 MB beim
Empfangen. Bis vor Kurzem war es sogar noch weniger. Und das in einem Land mit elf Millionen Einwohnern,
jedes Unternehmen in Europa verfügt über mehr.
Vor diesem Hintergrund wird der kubanischen Regierung vorgeworfen, das Internet zu blockieren und zu
zensieren. Es sind aber die USA, die den Zugang zu den nur wenige Kilometer vor unseren Küsten unter
Wasser verlegten Glasfaserkabeln verweigern. Es ist so, als ob man jemanden gefesselt im Schwimmbecken
ertrinken läßt, und ihm dann selbst die Schuld dafür gibt, weil er nicht schwimmen konnte.
Wie steht es um die häufig unterstellte Beschränkung des Internetzugangs in Kuba und der
Blockade ausländischer Internetseiten?
Davon hört man überall. Aber wer blockiert denn wirklich? Nach Angaben, die ich gesammelt habe,
blockieren die USA 557 Unternehmen und 3719 .com-Internetadressen, weil sie in Verbindung mit Kuba stehen.
Im Mai hat das US-Unternehmen Microsoft darüber informiert, daß es die Nutzung des Dienstes
Windows Live in Kuba verboten hat. Auch Google Chrome oder Google Earth können von der Insel aus
nicht heruntergeladen werden, weil dies durch die nordamerikanischen Gesetze verboten wird und den
Unternehmen Strafen drohen, wenn sie das nicht befolgen.
Mein Traum ist, daß es Kuba gelingt, das Internet so verfügbar zu machen, wie es sein sollte,
und zugleich unsere Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden vor Pornographie, Terrorismus,
Ausländerfeindlichkeit, Homophobie und anderen Inhalten schützt, die weltweit als
strafwürdig und schädlich anerkannt sind.
Die im Ausland wohl bekannteste kubanische Bloggerin, Yoani Sánchez, klagt
regelmäßig über Verfolgungen durch den kubanischen Staat. Was denken Sie darüber?
Ich bin der Meinung, daß Yoani Sánchez keine Bloggerin ist und noch weniger eine Heldin. Die
Seite, auf der sie ihre persönliche Frustration veröffentlicht, sieht aus wie ein Blog, aber es
ist keines. Es gibt Versionen in 18 Sprachen, und die sind nicht etwa über ein einfaches
Übersetzerprogramm erstellt. Und es gibt hohe Zugriffszahlen mit dem damit verbundenen Datenverkehr.
Wer weiß, was ein Blog und was eine Internetseite ist, weiß auch, wieviel Arbeit dies für
mehrere Leute bedeutet. Und auch die arbeiten nicht umsonst.
Es gibt Informationen über die Existenz eines Bankkontos in Spanien, um die US-Blockade zu umgehen,
auf das die Gelder überwiesen werden, die sie für ihre Arbeit erhält. Dieses konnte sie
nicht widerlegen.
Am vergangenen Wochenende berichtete Sánchez auf ihrer Seite, daß sie kurzzeitig
verhaftet worden sei. Nur wenige Minuten nach ihrer Festnahme sei sie dann von »Agenten« in der Nähe
ihrer Wohnung wieder freigelassen worden. Deutsche Zeitungen meldeten daraufhin einen »Angriff von
Geheimpolizei auf Bloggerin in Havanna«.
Ja, jetzt erzählt sie, daß sie verhaftet und geschlagen wurde und zeigt sich auf CNN mit
Krücken. Der Korrespondent von BBC Mundo in Havanna, Fernando Ravsberg, hat sie daraufhin interviewt
und erklärt, er habe keine sichtbaren Verletzungen, blaue Flecken oder Narben erkennen können.
Sie antwortete: »Ich habe mehrere Wunden, vor allem am Gesäß, aber die kann ich leider nicht
zeigen. Das ganze Wochenende über war mein Gesicht entzündet.« Ist es nicht schade, daß
sie nicht dafür gesorgt hat, daß jemand diese Entzündungen fotografiert?
Yoani Sánchez wird auch aus Deutschland unterstützt. Welche Hilfe bekommen Sie?
Außer den 80 Stunden Internetzugang im Monat, von denen ich schon gesprochen habe, bekomme ich von
niemandem Unterstützung. Es hat von mir auch niemand gefordert, daß ich meinen Blog betreiben
müsse, wie es von konterrevolutionären und antikubanischen Bloggern behauptet wird. Ich betreibe
meinen Blog, weil ich Journalistin bin und ich Spaß daran habe, meine Inhalte zu erstellen.
Interview: André Scheer
Junge Welt, 13.11.2009
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