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Eine merkwürdige Verfolgte
Yoani Sánchez genießt ungewöhnliche Aufmerksamkeit, auch von deutschen Unternehmen


Seit 1995 erscheint in Kuba die Zeitschrift Temas. Entsprechend ihres Untertitels »Kultur, Ideologie, Gesellschaft« erarbeitete sie sich seither einen Ruf als diskussionsfreudiges Blatt, in dem über die unterschiedlichen Themen des Lebens in Kuba und darüber hinaus gestritten wird. Zu diesem Ruf haben auch die öffentlichen Diskussionsveranstaltungen beigetragen, die das Blatt monatlich durchführt, wie Ende Oktober in den Räumen eines Kulturzentrums, als die Rolle des Internets auf der Insel diskutiert wurde.

Anwesend war unter anderen ein gutes Dutzend »Blogger«, also Internet-Nutzer, die im Netz ihre eigenen »Tagebücher« führen und dort alles notieren, was sie der Welt mitteilen möchten. Auch in Kuba erfreut sich diese Form der Kommunikation wachsender Beliebtheit. Die im Ausland wohl bekannteste Bloggerin Kubas ist wohl die 1975 geborene Yoani Sánchez. Sie erschien zu der Veranstaltung in Havanna verkleidet mit einer blonden Perücke. Trotzdem erkannten sie die meisten, was sie nicht an ihrem Auftritt hinderte. Mit ausladender Geste zog sie sich die Perücke vom Kopf und erhob anklagend die Stimme: »So muß ich hierher kommen, um der Absperrung meiner Wohnung durch die Polizei zu entgehen.«

»Was für eine merkwürdige Verfolgte, die ihren Blog von noblen Zimmern in Fünf-Sterne-Hotels aus pflegt«, kommentierte der Blogger M. H. Lagarde diesen Vorfall auf seiner eigenen Seite. Im Mai hatten Journalisten, die von der Internationalen Tourismusmesse in Havanna berichteten, überrascht registriert, wie Yoani Sánchez völlig ungehindert in der Empfangshalle des NH Parque Central saß, und über die teure Internetverbindung dieses Nobelhotels ihre Seite pflegte. Fast zeitgleich verkündete sie, die »Einschränkungen des Internet-Zugangs für Kubaner« in den Hotels bestünden weiter.

In Deutschland drucken Blätter wie Die Welt oder Die Tageszeitung die Beiträge von Sánchez eifrig ab. So verteidigte sie am 11.Juli in der taz den Putsch in Honduras und kritisierte die Reaktion des Staatenbündnisses ALBA auf den Sturz des Präsidenten Manuel Zelaya: »Mich erschreckt die Vorstellung, ALBA könnte zur Rettungsinstanz für die beteiligten Präsidenten werden. Wenn sie alle entschieden, einfach dauerhaft an der Macht zu bleiben, würde es überhaupt nichts nützen, wenn die Institutionen der einzelnen Länder das verhindern wollten«.

Im Gegensatz zu anderen, von den westlichen Medien nicht so hofierten Bloggern, braucht sich Yoani Sánchez bei ihrer Arbeit nicht mit werbefinanzierten Gratisanbietern herumzuschlagen, um ihre Seite ins Netz zu stellen. Sie genießt die exklusiven Dienstleistungen der Cronon AG, einer Tochter des deutschen Internet-Anbieters Strato, die sich ansonsten auf Dienstleistungen für Unternehmen wie die Berliner S-Bahn, den Berliner Verlag oder den Elektronikkonzern Sony spezialisiert hat. Registriert ist die Internet-Adresse von Yoani Sánchez zwar auf ihren Namen, aber nicht etwa in Havanna, sondern auf der Plaza Sta. Ma Soledad Torres Acosta in der spanischen Hauptstadt Madrid. Unter der angegebenen Telefonnummer meldet sich ein Jesús Martínez Calvo, seines Zeichens Pressesprecher von Strato Spanien. Der noble Gönner von Yoani Sánchez, der ihr den Server in Deutschland finanziert, ist also niemand geringeres als der zweitgrößte Internet-Provider Europas.

junge Welt André Scheer
Junge Welt, 13.11.2009








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