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»Die Arbeiter sind entscheidend«
Kubanischer Gewerkschaftsbund CTC unterstützt Regierung beim Kampf gegen die Folgen der Krise.
Ein Gespräch mit Josefa Amarilys Pérez Santana
Josefa Amarilys Pérez Santana lebt in Havanna und ist Mitglied des Nationalen Sekretariats des
kubanischen Gewerkschaftsbundes CTC
Das zu Ende gehende Jahr war für Kuba vor allem bedingt durch die Weltwirtschaftskrise
äußerst schwierig. Wie hat das Land darauf reagiert?
Uns hat die Krise getroffen, weil die Preise für Importgüter wie Lebensmittel und Rohstoffe
gestiegen sind. Trotzdem ist unsere Wirtschaft in diesem Jahr weiter gewachsen, wenn auch nur um 1,4
Prozent und nicht in dem Maße wie in früheren Jahren. Neben der nach wie vor bestehenden
Blockade durch die USA war das Jahr geprägt von den Folgen dreier Wirbelstürme, die 2008
über die Insel hinweggezogen sind. Die Schäden, die diese Stürme angerichtet haben,
entsprachen 20 Prozent des kubanischen Bruttoinlandsproduktes, mehr als zehn Milliarden Dollar. In dieser
Situation wurden Prioritäten gesetzt. So wurden dem Bereich der Lebensmittelproduktion und dem Ersatz
von Importen Vorrang eingeräumt. Zugleich wurden die grundlegenden Dienstleistungen für die
Bevölkerung aufrechterhalten, und auch in den Gewerkschaften haben wir unter den Arbeitern die
Diskussion in den Betriebsversammlungen befördert, um über Einsparmöglichkeiten zu
debattieren und zu erreichen, mit weniger Mitteln mehr zu schaffen.
Welchen realen Einfluß haben diese Arbeiterversammlungen auf die Leitung des jeweiligen
Betriebes?
Jeden Monat treffen sich alle Gewerkschaftsmitglieder einer Produktionsstätte zur
Arbeiterversammlung. Diese sind die wichtigste Instanz, denn sie sind die direkte Beteiligung der
Belegschaft an den Entscheidungen des Betriebes. Hier bringen sich die Arbeiter mit ihren Vorschlägen
ein, mit ihren Ideen, wie bestimmte Probleme gelöst werden können.
Im Zusammenhang mit den Reaktionen Kubas auf die Krise sollen Betriebskantinen geschlossen werden,
in denen kostenloses Mittagessen angeboten wurde...
Die Frage der Kantinen ist noch keine allgemein ergriffene Maßnahme. In vier Ministerien wird gerade
ein Experiment durchgeführt, und dessen Ergebnisse werden anschließend von jedem Ministerium
gemeinsam mit der Gewerkschaft ausgewertet, um danach zu entscheiden, wo es eine Kantine geben muß,
oder wo es Alternativen gibt. Im Rahmen dieses Experiments bekommt jeder Arbeiter 15 Pesos ausgezahlt, mit
denen er das gastronomische Angebot nutzen kann. Aber es gibt dazu noch keine allgemeine Entscheidung,
sondern es geht darum, überall die gerechteste und die wirtschaftlich sinnvollste Option anzuwenden.
Alle Maßnahmen, die im Land ergriffen werden, um die Krise zu bewältigen, die
Produktivität zu erhöhen und unseren Sozialismus zu verbessern, werden vorher mit den Arbeitern
diskutiert. Das ist der Stil unserer Revolution.
Welche Rolle spielt in solchen Diskussionen und in den Arbeiterversammlungen der Gewerkschaftsbund
CTC als Organisation?
Die Basis der Gewerkschaften bilden Arbeiter, die Gewerkschaftsmitglieder sind. Wenn ich von den
Arbeiterversammlungen spreche, spreche ich von der Gewerkschaft, denn die Versammlungen werden vom
jeweiligen Gewerkschaftssekretär geleitet. Die Gewerkschaftsfunktionäre nehmen die Diskussionen
und ihre Ergebnisse auf und tragen sie weiter.
Einer Statistik zufolge gehören 96 Prozent der Arbeiter der Gewerkschaft an. Ist die
Mitgliedschaft Pflicht?
Nein, die Mitgliedschaft ist völlig freiwillig. Ein Grundprinzip der Gewerkschaftsbewegung ist, ich
denke, überall in der Welt, daß nicht unterschieden wird zwischen der Ethnie, dem Geschlecht
oder dem Glauben. Die Gewerkschaftsbewegung umfaßt alle. Wenn ein Arbeiter in den Betrieb kommt,
geht die Gewerkschaft auf ihn zu und informiert ihn über die Organisation. Dann kann er Mitglied
werden, oder er läßt es bleiben. Aber wir haben tatsächlich eine sehr große
Mitgliedschaft. Die CTC hat derzeit 3,4 Millionen Mitglieder in 18 nationalen Branchengewerkschaften und
ist in allen 14 Provinzen und 169 Bezirken vertreten.
Was passiert, wenn ein Arbeiter nicht Mitglied werden will?
Nichts. Um im Betrieb zu arbeiten, muß er kein Gewerkschaftsmitglied sein. Er kann auch an den
Arbeiterversammlungen und an den Diskussionen teilnehmen, aber nur die Gewerkschaftsmitglieder haben dort
Stimmrecht, und natürlich können nur Mitglieder in Funktionen der Gewerkschaft gewählt
werden.
Wie ist die Lage der Arbeiter in den Joint Ventures, also den Betrieben mit ausländischer
Beteiligung?
Auch die Joint Ventures sind den kubanischen Gesetzen unterworfen, und wir arbeiten in diesen Betrieben
entsprechend den Tarifverträgen. Auch die jeweiligen Geschäftsleitungen müssen sich nach
diesen Verträgen und den Gesetzen richten. Dazu gehört auch, daß diese Betriebe die volle
Handlungsfreiheit der Gewerkschaft mit allen ihren Folgen anerkennen müssen.
Auch ein ausländischer Miteigentümer eines solchen Betriebes muß sich also den
Entscheidungen der Arbeiterversammlungen fügen, selbst wenn sie ihm nicht gefallen?
Ja, aber fast immer gefallen sie ihm. Die Verwaltung und die Gewerkschaft müssen vor den Arbeitern
Rechenschaft über den Vormonat ablegen, denn die Arbeiter sind die Eigentümer der
Produktionsmittel. Daraus entwickelt sich die Diskussion darüber, wie die Produktion und die
Qualität erhöht werden können, wie die Arbeitsdisziplin, aber auch die Arbeitsbedingungen
verbessert werden können.
Und wer verhandelt über die Gehälter?
Das System der Auszahlung der Gehälter wird von den Arbeiterversammlungen beschlossen. Eine
Veränderung oder ein neues Modell kann nicht beschlossen werden, wenn es nicht mit den Arbeitern
diskutiert wurde. Die Gehaltstabelle wird hingegen auf nationaler Ebene mit der Gewerkschaft diskutiert
und dann von der Regierung beschlossen, denn die Höhe der Gehälter hängt von der
wirtschaftlichen Situation des Landes ab. Gerade wurde zum Beispiel nach Diskussionen mit der CTC die
Entlohnung der Beschäftigten im Bildungswesen verbessert.
Ein Problem Kubas ist der unterschiedliche Zugang zu Devisen, die parallele Existenz einer konvertiblen
und einer nichtkonvertiblen Währung...
Nach der Auflösung der Sowjetunion und des sozialistischen Lagers, als wir mehr als 85 Prozent
unseres Marktes verloren, entstand in unserem Land eine äußerst kritische Situation. Unter den
damals ergriffenen Maßnahmen, um unsere Revolution und die sozialistischen Errungenschaften zu
retten, gehörten auch solche, die Unterschiede zwischen den Arbeitern mit sich brachten. Bestimmten
Bereichen der Wirtschaft wie dem Tourismus oder der Nickelproduktion mußte Vorrang eingeräumt
werden, weil sie Motoren der Gesellschaft sind. Wir wollten das nicht, aber wir mußten es tun, und
dafür gibt es ein großes Verständnis unter den Arbeitern.
Es gibt aktuell Pläne, um diese wirtschaftliche Ungleichheit zu überwinden. Zum Beispiel hatten
wir schon damit begonnen, nach und nach das Leben auf eine einzige Währung umzustellen, aber dann
kamen die drei Wirbelstürme. Und dann traf uns noch ein Hurrikan, nämlich die
Weltwirtschaftskrise, die zu einem Anstieg der Preise für Waren führte, die wir importieren
müssen, während die Preise für unsere Exporte sanken. Dadurch entstand ein Ungleichgewicht,
wodurch wir wirtschaftlich momentan das Währungsproblem nicht beheben können. Aber dieses Ziel
geben wir nicht auf. Wir arbeiten erstens daran, nach und nach die Einkünfte der Arbeiter zu
erhöhen und zweitens die nationale Währung zu stärken, bis wir nur noch eine einzige
Währung im Land haben und der Arbeiter ein Einkommen hat, das seiner Arbeit entspricht. Die gesamte
Bevölkerung soll Zugang zu Waren haben, die momentan manchmal nicht erreichbar sind. Deshalb wird es
auch im kommenden Jahr darum gehen, die revolutionäre Regierung dabei zu unterstützen, unsere
Revolution und unseren Sozialismus zu perfektionieren, denn wir Arbeiter hätten viel zu verlieren,
wenn der Sozialismus verloren ginge.
Interview: André Scheer
Junge Welt, 24.12.2009
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