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Die Gegenoffensive beginnt
Jahresrückblick 2009. Heute: Lateinamerika. Das linke Lager wächst, aber in Honduras und Kolumbien geht
das Imperium zum Angriff über
Wird 2009 als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem das »Roll-Back« der fortschrittlichen
Entwicklungen in Lateinamerika begann? Trotz einer Reihe von Erfolgen und gewachsenem Einfluß ist
das Bündnis der linken Regierungen und ihre Bolivarische Allianz für die Völker Unseres
Amerikas (ALBA) in die Defensive geraten.
Begonnen hatte das Jahr jedoch mit einem Erfolg. Am 15. Februar stimmten in Venezuela mehr als 6,3
Millionen Menschen für eine fünf Punkte umfassende Änderung der Verfassung. Der wichtigste
Inhalt der im Lande heftig umstrittenen Reform war, daß Hugo Chávez bei der nächsten
Präsidentschaftswahl 2012 erneut kandidieren darf. Auch Parlamentsabgeordneten und den Gouverneuren
der Bundesstaaten ermöglicht die Änderung eine bislang verbotene Wiederwahl. Fast noch wichtiger
als das Ergebnis selbst war jedoch, daß sich die venezolanische Linke mit diesem Abstimmungserfolg
wieder gefangen hatte. Nach dem triumphalen Wahlsieg von Hugo Chávez bei der
Präsidentschaftswahl 2006 hatten die bolivarischen Kräfte mehrere Schlappen hinnehmen
müssen. So war 2007 eine umfangreiche Verfassungsreform bei der Volksabstimmung knapp gescheitert und
im November 2008 konnte die Opposition bei den Regionalwahlen mehrere Bundesstaaten und die Hauptstadt
Caracas für sich gewinnen. Nun jedoch konnte die Linke wieder Millionen Menschen mobilisieren.
ALBA wächst
Einen weiteren Erfolg feiern konnte in Ecuador Rafael Correa, der sich bei der durch die Verabschiedung
der neuen Verfassung im September 2008 notwendig gewordenen Neuwahl des Staatspräsidenten klar gegen
seine rechten Konkurrenten durchsetzen konnte. In El Salvador beendeten Mauricio Funes und die
frühere Guerillaorganisation FMLN am 1. Juni die jahrzehntelange Herrschaft rechter Parteien. Und in
Bolivien wurde Anfang Dezember Evo Morales wiedergewählt, seine Bewegung zum Sozialismus (MAS)
erreichte im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Sitze.
Auch das antiimperialistische Staatenbündnis ALBA, dessen Gründung sich 2009 zum fünften
Mal jährte, wuchs auf mittlerweile neun Mitglieder an. Ecuador trat nach langem Zögern bei, und
auch die Karibikstaaten San Vicente und die Grenadinen sowie Antigua und Barbuda schlossen sich der
Gemeinschaft von Kuba, Venezuela, Bolivien, Nicaragua, Honduras und Dominica an. Die gewachsene Kraft der
Allianz zeigte sich prompt beim Gipfeltreffen der amerikanischen Staatschefs im April in Trinidad und
Tobago. Während die ALBA-Staaten die Verabschiedung einer nichtssagenden Abschlußerklärung
blockierten, setzten sie gemeinsam mit nahezu allen anderen Regierungen Lateinamerikas ein Ende des
Ausschlusses Kubas von diesen Veranstaltungen durch. Evo Morales betonte, dies müsse der letzte
Gipfel gewesen sein, an dem Kuba nicht habe teilnehmen dürfen, und Hugo Chávez schlug vor,
sich das nächste Mal in Havanna zu treffen. Formell vollzogen wurde das Ende der Isolation der
sozialistischen Insel dann im Juni, als eine Konferenz der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) im
honduranischen San Pedro Sula den 1962 verabschiedeten Ausschluß Kubas offiziell aufhob.
Nur wenige Tage nach dieser Entscheidung wurde Honduras jedoch Schauplatz einer Tragödie, die
überwunden geglaubte Zeiten zurückkehren ließ. Am 28. Juni überfielen vermummte
Soldaten im Morgengrauen die Residenz des demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya,
verschleppten ihn und setzten ihn in ein Flugzeug, das den Staatschef nach Costa Rica transportierte. Das
honduranische Parlament wurde zu einer Sondersitzung zusammengetrommelt, den Abgeordneten ein
gefälschtes Rücktrittsschreiben Zelayas vorgelegt, und diese wählten den
Parlamentspräsidenten Roberto Micheletti zum neuen Staatschef – »einstimmig«, wie es hieß.
Doch die als Unterstützer des Präsidenten, der in der zweiten Hälfte seiner offiziell im
Januar zu Ende gehenden Amtszeit einen Linksruck vollzogen und sein Land in ALBA geführt hatte,
bekannten Abgeordneten waren gar nicht erst eingeladen worden. Um die Lücken im Plenum nicht sichtbar
werden zu lassen, nahmen Soldaten und Journalisten ihre Plätze ein.
Proteste in Honduras
Doch womit die Putschisten nicht gerechnet hatten, war eine riesige Protestwelle. Über alle
politischen Differenzen hinweg bildete sich aus Parteien, Gewerkschaften und Basisorganisationen eine
breite Widerstandsbewegung, die über Monate hinweg mit Großdemonstrationen,
Straßenblockaden und Streiks eine Stabilisierung des Putschregimes verhinderte. Auf internationaler
Ebene wurden die Putschisten isoliert, die Mitgliedschaft von Honduras in der OAS und anderen
internationalen Organisationen wurde suspendiert und nur die Vertreter der rechtmäßigen
Regierung anerkannt. Im September gelang es Zelaya dann nach mehreren vergeblichen Versuchen, heimlich
nach Honduras zurückzukehren. In der brasilianischen Botschaft in der Hauptstadt Tegucigalpa fand er
Unterschlupf und hält sich bis heute dort auf.
Trotzdem gelang es den Putschisten, sich an der Macht festzusetzen. Dazu trug auch die Haltung der USA
bei, die sich zwar in Worten auf die Seite der rechtmäßigen Regierung stellte, zugleich jedoch
wirklich wirksame Maßnahmen wie die Einstellung der Militärhilfe für Honduras verweigerte.
So konnte am 29. November unter Kontrolle des Regimes eine Wahlfarce durchgeführt werden, aus der
Porfirio Lobo von der Nationalen Partei als Sieger hervorging. Die USA, Kolumbien, Panama und Costa Rica
erkannten diese Wahlfarce an. So konnte die »Smart Power«, wie die Publizistin Eva Golinger die
Außenpolitik des neuen US-Präsidenten Barack Obama bezeichnete, in Honduras einen ersten Sieg
gegen die Linksentwicklung in Lateinamerika feiern.
Ebenfalls gegen die linken Regierungen gerichtet ist die Installation von sieben US-Militärbasen in
Kolumbien. Ein entsprechendes Abkommen zwischen Bogotá und Washington wurde im November
unterzeichnet, während praktisch alle anderen Regierungen Südamerikas diese neuen
Stützpunkte als Bedrohung empfinden. Besonders Caracas wies darauf hin, daß die US-Truppen von
den Basen aus innerhalb von zwanzig Minuten venezolanisches Gebiet erreichen können. Vor diesem
Hintergrund sowie aufgrund mehrerer Grenzzwischenfälle verschlechterten sich die Beziehungen zwischen
Kolumbien und Venezuela weiter. Hinzu kam, daß sich die Guerilla von den Rückschlägen, die
sie 2008 erlitten hatte, offenbar erholen konnte. Im Dezember wurde bekannt, daß sich die
Führungen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und der Nationalen
Befreiungsarmee (ELN) getroffen haben, um ihren Zwist beizulegen. In einer anschließend
veröffentlichten Erklärung verpflichten sich beide, ihre Konfrontation zu beenden und
Differenzen solidarisch zu klären.
Lateinamerika steuert also auf eine Kraftprobe zu. Die neue US-Administration von Barack Obama will den
einstigen Hinterhof offenbar wieder zur Räson bringen und die Entwicklung neuer Gesellschaftsmodelle
aufhalten. Mit der im Januar drohenden Rückkehr der Rechten an die Regierung in Chile könnte
Washington dafür einen weiteren Stützpunkt in Südamerika bekommen.
André Scheer
Junge Welt, 02.01.2010
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