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In der Medizinausbildung ist Kuba eine Weltmacht
Die "Escuela Latinoamericana de Medicina" in Havanna feierte ihren 10. Geburtstag
Ein Militärobjekt in eine medizinische Hochschule umwandeln - was für eine geniale Idee! Nach
der Hurrikansaison 1998 in Lateinamerika unterbreitete die kubanische Regierung zunächst den
betroffenen Ländern das Angebot, nicht nur Ärzte zu schicken, sondern junge Leute aus diesen
Ländern in Kuba zu Medizinern auszubilden. Um diese Idee zu verwirklichen, wurde die kubanische
Marineakademie - ein riesiges Militärobjekt am Stadtrand von Havanna - zur "Escuela
Latinoamericana de Medicina" (ELAM - Lateinamerikanische Hochschule für Medizin) umgebaut. Am 5.
November 2009 feierte diese einzigartige Ausbildungseinrichtung ihr zehnjähriges Bestehen.
Die Ausbildung an der ELAM
Am 27. Februar 1999, gerade einmal drei Monate nach Ankündigung dieser Idee, trafen die ersten 1.933
Studenten aus 18 lateinamerikanischen Staaten in Kuba ein. Noch vor der offiziellen Eröffnung der
Hochschule erweiterte Kuba dieses Ausbildungsangebot für alle Länder, in denen die medizinische
Versorgung unzureichend ist, sowie für junge Leute, die in ihrer Heimat nicht die Möglichkeit
haben, ein Medizinstudium aufzunehmen - aus finanziellen Gründen, aber auch, weil sie in weit
abgelegenen Kommunen mit geringer Infrastruktur leben. An der ELAM studieren derzeit auch ca. 100
Studenten, die sehr kleinen ethnischen Gruppen angehören.
Die jungen Ärzte sollen nach der Ausbildung in ihre Heimatländer zurückkehren, um dort eine
nachhaltige medizinische Versorgung mit aufzubauen. Bewerben für dieses Medizinstudium in Kuba
können sich die jungen Leute bei verschiedenen Organisationen in ihren Ländern.
Die Ausbildung an der ELAM dauert sechseinhalb Jahre. Voraussetzung ist das Abitur. Zuerst müssen
alle Studenten einen halbjährigen Vorbereitungskurs absolvieren, um die Unterschiede im
Ausbildungsniveau der einzelnen Länder auszugleichen. Da für viele Studenten Spanisch nicht die
Muttersprache ist, wird für sie in diesem ersten halben Jahr auch ein Sprachkurs angeboten.
Es folgen zwei Jahre Grundausbildung an der ELAM; danach beginnt die Spezialisierung in den verschiedenen
medizinischen Fachbereichen. Die Studenten werden in diesem Ausbildungsabschnitt an insgesamt 21
Fakultäten im ganzen Land unterrichtet. Sie lernen dort zusammen mit kubanischen Studenten. Das
Abschlussexamen legen sie dann wieder in der Hauptstadt ab.
Während der Zeit in Havanna wohnen die Studenten auf dem Gelände der ELAM. Sie haben hier eine
eigene Gesundheitsversorgung und können verschiedene Freizeitangebote nutzen. Es gibt Cafés, ein Kino
und ein Theater. Die Wochenenden genießen die angehenden Mediziner gern in der Stadt, sie
organisieren Sportveranstaltungen in der Hochschule oder begeistern ihre Kommilitonen mit der Musik und
den Traditionen ihres Heimatlandes.
Studenten aus den USA
Das Studium sowie Unterkunft, Verpflegung und alle Hilfsmittel für die Ausbildung zahlt der
kubanische Staat. Alle Studenten erhalten einen kubanischen Studentenausweis und genießen die damit
verbundenen Vergünstigungen. Sie können außerdem - obwohl sie Ausländer sind - in
kubanischen Pesos bezahlen. Zu alldem packt Kuba für jeden Studenten noch ein Taschengeld von 100
Pesos obendrauf.
Dieses großzügige Ausbildungsangebot Kubas nehmen derzeit auch 113 Studenten aus den USA in
Anspruch, die sich zu Hause ein Medizinstudium nicht hätten leisten können. Sie leben und
studieren hier unter den gleichen Bedingungen wie ihre Kommilitonen aus der ganzen Welt und genießen
die gleichen Vergünstigungen.
Nach ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten müssen sie sich - wie alle anderen
Auslandsstudenten auch - verschiedenen Prüfungen unterziehen. Besteht der Absolvent diese
Prüfung, erhält er eine Empfehlung, mit der er seinen kubanischen Hochschulabschluss staatlich
anerkennen lassen kann.
Erstaunlicherweise gibt es bei diesem Verfahren nach US-amerikanischem Recht keinen "Sonderfall
Kuba". Allerdings kosten diese Prüfungen eine Menge Geld. Die ELAM unterhält gute Kontakte
zu einer Universität in Kalifornien, die dem Ausbildungsweg der jungen Leute über Kuba sehr
positiv gegenübersteht und den Rückkehrern den Berufsstart in den USA erleichtert.
Neue ELAMs im Ausland
Die gute Medizinausbildung in Kuba hat sich mittlerweile auf der ganzen Welt herumgesprochen. Derzeit
absolvieren Studenten aus 52 Ländern diese Ausbildung - aus Afrika, Asien, Ozeanien, aus den USA,
dem Nahen Osten und natürlich aus Lateinamerika und der Karibik. Schon über 8.000 Mediziner
haben den Abschluss der "Escuela Latinoamericana de Medicina" in der Tasche.
Die Anfragen für ein Studium an der ELAM werden von Jahr zu Jahr mehr - alle Studienwünsche aber
kann Kuba nicht erfüllen. Mit 1.500 Immatrikulationen pro Jahr hat die Hochschule gegenwärtig
ihre Kapazitätsgrenze erreicht. Allerdings diskutiert man in Kuba schon die Möglichkeit,
zusätzlich in einigen Ländern medizinische Hochschulen nach dem Vorbild der ELAM aufzubauen.
Erfahrungsaustausch in Kuba
Im Oktober 2008 feierte die "Escuela Latinoamericana de Medicina" das erste Graduiertentreffen.
Zirka 900 Mediziner, die hier in Havanna studiert haben, waren aus allen Ecken der Welt zu diesem Fest
nach Kuba gekommen. Die Ärzte berichteten über die Entwicklung des Gesundheitswesens in ihren
Heimatländern und stellten ihren Kollegen auch eigene Projekte vor.
Eine der Erfahrungen, die viele von ihnen mit nach Havanna brachten, ist der Zusammenhang zwischen einer
besseren medizinischen Basisversorgung und einer geringeren Säuglingssterblichkeit oder dem
Rückgang von leichten, aber nicht behandelten Krankheiten als Todesursache. Natürlich war das
Treffen auch ein Wiedersehen alter Freunde und ein Schwelgen in schönen Erinnerungen.
Lourdes Castellanos Arencibia, stellvertretende Direktorin für internationale Beziehungen an der
Hochschule, erklärt die Grundidee der ELAM so: "Es ist ein Prinzip der kubanischen Revolution,
das Wenige, das man hat, mit anderen zu teilen und denen zu helfen, die noch ärmer sind. Wir
schicken Menschen in viele Länder der Welt, um Leben zu retten, während die reichen Länder
des Nordens ihre Politik mit immer mehr Soldaten, mit Gewalt und Krieg durchsetzen wollen."
Jörg Rückmann
Cuba Sí revista 1-2010
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