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Ärzte oder Soldaten
Während kubanische Mediziner Leben retten, besetzt das US-Militär Haiti
Das am Montag gerettete kleine Mädchen Karla Lexandre hat die Hoffnungen der Helfer wiederbelebt,
auch eine Woche nach dem Erdbeben doch noch Menschen lebend aus den Trümmern bergen zu können.
Experten aus verschiedenen Ländern hatten zuvor praktisch die Hoffnung aufgegeben, daß Menschen
diese lange Zeit ohne Trinkwasser unter den Schuttbergen eingestürzter Gebäude überleben
könnten. Das gerettete Mädchen wurde in das Universitätskrankenhaus des Friedens in
Port-au-Prince gebracht und dort von kubanischen Ärzten behandelt. Mediziner aus fünf
Ländern betreiben derzeit das Hospital, unter ihnen die Pädiaterin Gladis Salas, die als eine
von mehr als 400 kubanischen Medizinern bereits seit zwei Jahren in dem ärmsten Land des Kontinents
arbeitet. Sie berichtete der Agentur Prensa Latina, daß das Mädchen körperlich fast
unverletzt gewesen sei, obwohl das Haus, in dem es sich während des Erdbebens aufgehalten hatte,
vollkommen in sich zusammenstürzte. »Aber sie ist stark ausgetrocknet. Wir haben begonnen, ihr
Flüssigkeit zuzuführen, um ihren Allgemeinzustand zu verbessern und sie besser untersuchen und
ihr Leben retten zu können«, so die Kinderärztin.
Die Menschen in Port-au-Prince wollen weniger die mittlerweile überall präsenten Soldaten als
vielmehr und ganz dringend Lebensmittel, Wasser, medizinische und technische Unterstützung sowie
Gelegenheiten zur Arbeit. Am Dienstag bildeten sich ab den frühen Morgenstunden erneut lange
Menschenschlangen an den Hauptverkehrsadern der Stadt. Die Menschen suchten nach einem Stück Brot
für ihre Kinder und andere Angehörige, die oft eine weitere Nacht unter freiem Himmel verbringen
mußten. Hunderte Opfer der Naturkatastrophe zogen in der Hoffnung zum internationalen Flughafen
»Toussaint L’Ouverture«, daß ein Teil der Hilfslieferungen, die dort aus aller Welt eintreffen,
irgendwie auch in ihre Hände gelangen würde. Aber die Landebahn des Flughafens gleicht weniger
einem internationalen Zentrum zur Verteilung humanitärer Hilfsgüter, als vielmehr einer
kampfbereiten US-Militärbasis. Die Präsenz der großen Transportflugzeuge der US-Luftwaffe
wäre aufgrund ihre Ladekapazitäten noch nachvollziehbar, aber das Bild wird vor allem von dem
massiven Aufmarsch der US-Soldaten geprägt.
»Dieses Land braucht Ärzte, Architekten, Ingenieure, damit sie beim Wiederaufbau helfen. Wir brauchen
keine Soldaten, auch wenn das hier einige offenbar glauben«, kritisierte der junge Haitianer Cantón
Wilson, der sich seit dem Erdbeben fast ununterbrochen um die Opfer der Katastrophe gekümmert hat. Er
studiert noch in Kuba Medizin, wo er sich als Chirurg spezialisieren will. Sein viertes Ausbildungsjahr
steht bevor, und er machte gerade Urlaub bei seiner Familie, als die Katastrophe hereinbrach. Wilson
entschied sich, in seiner Heimat zu bleiben und zu helfen. Haiti brauche keine »Belagerung«, sondern
»Solidarität, Brüderlichkeit und Frieden«, kritisierte der angehende Mediziner den
Militäraufmarsch der USA. Am 15.Januar war der Flugzeugträger »Carl Vinson« vor der Küste
Haitis eingetroffen. Ihm folgten die Kriegsschiffe »Underwood« und »Normandy« sowie der
Hubschrauberträger »Bataan«. Auch 2000 Marineinfanteristen und 3000 Elitesoldaten der 82.
Luftlandedivision der US-Armee trafen zwei Tage nach dem Erdbeben in Haiti ein. Ihre Kriegswaffen taugen
nur wenig oder gar nicht dazu, die menschlichen und materiellen Konsequenzen der Katastrophe zu lindern.
Die haitianischen Behörden befürchten mittlerweile bis zu 200000 Tote, mehr als 70000 wurden
bereits in schnell ausgehobenen Massengräbern beigesetzt.
Enrique Torres, Port-au-Prince (Prensa Latina)
(Übersetzung: André Scheer)
Junge Welt, 20.01.2010
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