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Wer kann, muß schreiben
Nadine Gordimer auf der Buchmesse in Havanna
Der kubanische Sozialismus ist drauf. Man erkennt es an der Hosenfrage. Glaubte man in der DDR
stellenweise nicht im falschen Film, sondern in der falschen Hose zu stecken, sind hier die für
Lebenswelt-Ästhetik und Coolness-Philosophie lebenswichtigen Jeans überall zu sehen. Und zwar in
Blau. Denn wem klingelt nicht noch die Kampflosung »White jeans? No! Blue Jeans? Yeah!« in den Ohren, die
Ulrich Plenzdorf Anfang der 1970er Jahre in seinem Theaterstück »Die neuen Leiden des jungen W.«
ausgegeben hatte?
In Kuba jedenfalls werden fast nur Blue Jeans getragen, und die sind auch nicht merkwürdig marmoriert
wie in der Spät-DDR, sondern up to date, extrageknittert oder supereng, wie sie auch in einem
Berliner Geschäft nicht anders zu haben sind.
Nadine Gordimer, als 86jährige Literaturnobelträgerin aus Südafrika der prominenteste Gast
auf der Buchmesse in Havanna, trug bei ihrem Auftritt am Samstag keine Jeans, sondern einen leichten
Hosenanzug mit orangem Umhang, passend zu einem orangen Blumenbouquet links und rechts hinter dem Podium,
auf dem sie saß und dem Publikum Fragen über ihr Werk und ihren Stil beantwortete.
Außerdem präsentierte sie die kubanische Ausgabe von »Un capricho de la naturaleza« (Eine Laune
der Natur), worüber sie aber keine weiteren Worte verlor. Schon immer habe sie eine gute Beziehung
zur kubanischen Revolution gehabt, erzählte sie, in den Zeiten von Guantánamo sei diese Beziehung
»intensiver« geworden. Guantanamo sei ein einziger Skandal, zumal die USA sich in einem anderen Land ein
exterrritoriales Gebiet anmaßten, in dem sie foltern könnten. Allerdings könne sie auch
nichts anderes tun, als ununterbrochen dagegen Petitionen zu unterschreiben, wie auch für die Cuban
Five oder gegen die Blockade.
Bemerkenswerterweise wurde Gordimers Auftritt auf der Messe von den internationalen Medien komplett
ignoriert, nur einige kubanische Zeitungen berichteten. Sie persönlich ist übrigens der Ansicht,
daß Barack Obama das Embargo gegen Kuba stoppen wird, was im Publikum zu leichten Irritationen
führte. Man müsse dem Mann Zeit geben, sagte Gordimer, er würde sich in einer schwierigen
Situation befinden – aber wenn er das Embargo dieses Jahr nicht beende, dann würde sie »sehr, sehr
wütend«.
Begeistert zeigte sich die Literatin über die Masse von Minderjährigen, die die Straßen
der Festung Cabana fluten, in der die Buchmesse stattfindet. Diese Kinder wollten lesen, meinte sie, in
Südafrika dagegen wären die einzigen Bücher, die den Kindern begegneten, ihre
Schulbücher. Sie selbst hätte entschieden zuwenig Shakespeare gelesen, meinte sie. Dem wurde im
Publikum widersprochen. Eine deutsche Buchhändlerin sagte mir, sie mußte mit den Tränen
kämpfen, weil sie diese ebenso zierlich wie sehr prägnant, ja geradezu mit freundlichem Stolz
auftretende Schriftstellerin schon immer verehrt habe.
Die Best-of-Lektüre von Nadine Gordimer sieht dann so aus: Jorge Luis Borges, Carlos Fuentes,
Aleja Carpentier, Leo Tolstoi, Marcel Proust und Bertolt Brecht. Für Gordimer bildet sich ein
Schriftsteller übrigens selber aus – natürlich durch Lesen und der Fähigkeit zur
Selbstkritik. Man hat angeborenes Talent, das man dann trainiert, glaubt Gordimer, und wer das nicht hat,
der kann das auch nicht an der Schule oder an der Universität lernen.
Und da fragte jemand aus dem Publikum: »Ist es denn die Literatur wert, daß man ihr soviel Zeit
opfert?« Ein bißchen geschockt holte Gordimer tief Luft und rief: »Die Literatur ist die Ausbeutung
des Lebens in all seinen Aspekten: Politik, Psychologie, Ökonomie etcetera!« Sie selber habe immer
nur dann geschrieben, wenn sie fühlte, daß sie muß.
In Südafrika wurden drei ihrer Bücher verboten – »what happens there, shakes me«. Nie habe sie
zwischen »weiß«, »schwarz« oder »farbig« unterschieden, die Hautfarbe hätte sie noch nie
interessiert. Trotzdem sei sie auf keinen Fall mit den Figuren ihrer Romane zu verwechseln, denn sie
schreibe nicht biographisch. Heute habe Südfafrika übrigens die beste Verfassung der Welt,
zumindest theoretisch. Schwule und Lesben beispielsweise könnten gegen Diskriminierung klagen.
Mit einem schönen Versprecher beendete Nadine Gordimer ihren Auftritt auf der Buchmesse in Havanna:
»I like to read you, äh to meet you«.
Christof Meueler
Junge Welt, 17.02.2010
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