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»Ich seh nur den Menschen«
Literatur-Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer über Bruderkriege, das Beispiel Hitler und die kubanische Kultur
Die Schriftstellerin Nadine Gordimer wurde 1991 für ihr literarisches Werk mit dem Nobelpreis
für Literatur ausgezeichnet. Sie ist zudem durch ihren ausdauernden Widerstand gegen das
Apartheidregime in Südafrika bekannt. Mit Gordimer sprach in Havanna ND-Mitarbeiter Harald Neuber.
ND: Frau Gordimer, sie haben auf der Internationalen Buchmesse in Havanna eine spanische Ausgabe Ihres
1987 erschienenen Romans »Ein Spiel der Natur« vorgestellt. In dem Roman befassen Sie sich – wie auch in
den anderen Werken – literarisch mit dem Rassismus. Wo steht Südafrika heute?
Gordimer: Die Auseinandersetzung mit dem Rassismus ist natürlich eines meiner literarischen
Hauptmotive. Ich habe immer nur den Menschen gesehen, keine Rassen. Aber zu Ihrer Frage: Wo steht aber
Südafrika heute? Rund eineinhalb Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid haben wir eine der
fortschrittlichsten Verfassungen weltweit, die entschiedene Akzente gegen Diskriminierung setzt.
Historisch gesehen hatten wir in Südafrika das enorme Glück, Nelson Mandela auf unserer Seite
zu haben. Sehen Sie sich aber die weitere Entwicklung an: Heute wütet in Simbabwe ein
Robert Mugabe.
Wie aber kann der Rassismus weiterhin zurückgedrängt werden?
Indem wir zunächst die historischen Wurzeln erkennen: Der Rassismus liegt oft im Kolonialismus
begründet.
Und die soziale Frage ...
... ist ohne Zweifel wichtig. Sehen sie sich mein Land, Südafrika, an. Wir haben gut 30 Prozent
Arbeitslosigkeit. Im benachbarten Simbabwe ist die Situation aber noch verheerender, deswegen kommen
unzählige Gastarbeiter nach Südafrika, um sich die ohnehin raren Arbeitsplätze streitig
zu machen. All das ist nicht mit Xenophobie zu erklären. Das griechische »xenos« bezeichnet das
Fremde, wir haben aber einen wahren Bruderkrieg. Sie als Deutscher kennen das aus der Geschichte Ihres
Landes: Auch Hitler hat die soziale Misere in den 1930er Jahren ausgenutzt, um sein Terrorregime
aufzubauen und die Opfer der Verarmung aufeinanderzuhetzen. Eben diese Mechanismen gibt es heute.
Sie sprachen die Folgen des Kolonialismus an. Heute werden wir in Lateinamerika Zeugen einer politischen,
wirtschaftlichen Bewegung gegen historische Abhängigkeiten von den ehemaligen Kolonialmächten.
Setzt sich darin der Kampf des 20. Jahrhunderts fort?
Mitunter werde ich nach der Welt gefragt, die ich mir erträumt habe. Ich bin nicht so arrogant, nur
von mir zu sprechen. Aber meine Kameraden und ich haben uns im Kampf gegen die Apartheid von dem Ideal der
Gerechtigkeit für den Menschen leiten lassen. Dieser Kampf für Gerechtigkeit kann nicht nur in
einem Land ausgefochten werden, man muss mit anderen Ländern Kontakt halten. Deswegen halte ich die
Beziehungen zwischen Südafrika und Kuba für so wichtig. Wir dürfen nicht nur auf die
Nord-Süd-Kooperation setzen, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen den Staaten des Südens
stärken und ausbauen.
Als Mittel, die Probleme der postkolonialen Gesellschaften auszuräumen?
Ich bin mir nicht sicher, ob auf diese Weise alle Probleme ausgeräumt werden können. Aber es
würde auf jeden Fall helfen.
Kuba hat zumindest im Bildungssystem und im Verlagswesen deutliche Erfolge vorzuweisen.
Es steht ja völlig außer Frage, dass der Zugang zur Kultur eine der großen
Errungenschaften dieses kleinen und nicht reichen Landes ist. Und man muss sich immer bewusst sein, dass
all dies trotz der US-Blockade zustande gebracht wurde. Kuba ist sich bewusst, dass die Kultur den
Menschen bei seiner Befreiung hilft. Ich hoffe, dass wir in Südafrika eine solche Entwicklung
einschlagen. In meinem Land gibt es elf Sprachen, aber nur zwei – Englisch und Afrikaans – werden von den
Medien kultiviert. Kinder und Jugendliche sind stark vom Fernsehen geprägt. Das Bild hat über
das Wort gesiegt. Das gilt es zu ändern.
Neues Deutschland 23.02.2010
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