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»Sie hatten nichts Banales an sich«
Gespräch mit Gianni Minà. Über Musiker und Sportler, Fidel Castro und Diego Maradona, Barack Obama und die »Hautfarbe« der US-Politik


»Kuba in der Epoche von Obama« heißt der neue, noch unfertige Dokumentarfilm des Italieners Gianni Minà (Kurzbiographie nächste Seite, Filmbesprechung in jW vom 15.2.). Nebenstehendes Gespräch fand vor drei Wochen am Rande der Berlinale statt.

Gianni Minà, geboren am 17.5.1938 in Turin, wurde mit 21 Sportreporter beim italienischen Staatsfernsehen RAI und bald darauf dessen Korrespondent in den USA und Lateinamerika. Er drehte Filme über Muhammad Ali, Ray Charles, Sergio Leone und Diego Maradona. Am 26. Juni 1987 führte er für RAI ein Interview mit Fidel Castro – er sagt, auf Vermittlung von Oliver Stone. Das Interview war auf zwei Stunden angesetzt und dauerte 16. Vor drei Jahren stellte Minà die letzte Schnittfassung dieses Gesprächs auf der Berlinale vor, seine zweiteilige Doku »Memorias Cubanas: Un dia con Fidel« (90 Minuten) und »Memorias cubanas: Fidel cuenta el Che« (58 Minuten), Italien 1987/2007. Weiteres unter www.giannimina.it

Was bringt einen italienischen Filmemacher dazu, eine Dokumentation über Kuba zu drehen?

Ich arbeite schon seit Jahren auf der ganzen Welt. Beruflich bin ich ein Vagabund. Nicht zuletzt, weil ich in meiner Heimat Italien nach 50 Jahren filmerischer Pionierarbeit aus dem Fernsehen verbannt wurde.

Wie das?

Auf Wunsch von Herrn Berlusconi. Und das nennt man dann Demokratie. Aber ich weine dem Ganzen keine Träne nach. Für das heutige italienische Fernsehprogramm würde ich meinen Namen und mein Gesicht eh nicht mehr herhalten. Das ist doch alles Theater. Wenn Sie die offizielle Version der Gründe für meinen Rausschmiß hören wollen, fragen Sie doch bitte bei meiner Regierung nach. Fakt ist, daß meine Filme nie das widergespiegelt haben, was in meiner Heimat von oben gepredigt wurde. Deshalb mußte ich meine Koffer packen. So habe ich mir zunächst unfreiwillig eine internationale Sicht auf die Dinge angeeignet, die mir erlaubt, mich auch für Konflikte weit weg von zu Hause zu interessieren. Davon lebe ich heute.

Darum haben Sie den Kuba-Film auf Spanisch mit englischen Untertiteln gedreht?

Den habe ich in Spanisch gedreht, weil Dokumentarfilme generell eine größere Wirkung haben, wenn man die Interviews in der Originalsprache beläßt und nicht synchronisiert. Und in dem Film habe ich eben alle Interviews auf Spanisch geführt. Englische Untertitel sind heutzutage unerläßlich. Man will ja, daß so viele Menschen wie möglich den Film sehen und verstehen können. Besonders im Zusammenhang mit großen Festivals wie der Berlinale ist Englisch ein Muß.

Wie viele Sprachen sprechen Sie denn?

Schlecht spreche ich alle (lacht). In der Schule habe ich Französisch gelernt, das spreche ich noch ganz gut. Spanisch habe ich mir während meiner Arbeit in Lateinamerika angeeignet, Englisch während meiner Arbeit in den Vereinigten Staaten. Alles Sprachen, die ich sehr schlecht spreche. Italienisch kann ich, glaube ich, noch ganz gut. Das hoffe ich zumindest (lacht).

Wann waren Sie zuletzt auf Kuba?

Bei den Dreharbeiten für »Kuba in der Epoche von Obama«. Das war im April 2009. Wegen gesundheitlicher Probleme mußte ich nach drei, vier Monaten wieder zurück in meine Heimat. Es war alles abgedreht, aber das Editing fehlte noch. Ich mußte das Projekt leider erst mal auf Eis legen, kann mich seit Oktober aber wieder voll darauf konzentrieren. Leider nur noch aus der Distanz, nicht mehr vor Ort.

Wie haben Sie die Lebensumstände dort erlebt?

Kuba befindet sich in einer Übergangsphase. Die großen Protagonisten der Revolution sind tot oder schon sehr alt. Wir alle, allen voran natürlich das kubanische Volk, warten nun auf die neuen Fidels und die neuen Ches, die im Stande sind, die Revolution weiter zu führen. Noch sind sie nicht gefunden, und das führt schon zu einer gewissen Unsicherheit innerhalb der Gesellschaft. Das spürt man.

In der westlichen Welt sagt man dir nur: Kuba hat sich seit 50 Jahren nicht verändert. Wieso hat sich Kuba nicht verändert? Wegen der von der US-Regierung auferlegten Blockade. Das sagt dir im Westen fast niemand. Die Kubapolitik der USA hat sich durch Obama nicht verändert. Und somit auch nicht die Lebensumstände auf Kuba.

So ist Obama in den Titel Ihres Kuba-Films gekommen.

Als wir mit den Dreharbeiten begonnen haben, ist dieser hochintelligente Mann, Sohn einer weißen US-Amerikanerin und eines Schwarzafrikaners, gerade zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. Er hat auf der ganzen Welt große Hoffnungen geweckt. Auch bei mir persönlich.

Ich habe ihm zugetraut, sein Land aus der Krise führen zu können. Und ich habe geglaubt, er würde Ungerechtigkeiten rückgängig machen, die sein Land über Jahrzehnte betrügerisch in die Welt gesetzt hat. Ich habe mich geirrt. Auch in Sachen Kuba hat sich seit seiner Amtseinführung nichts verändert. Zu diesem Ergebnis kommt, wenig überraschend, auch mein Dokumentarfilm. Die Blockade ist nicht aufgehoben, und die Militärbasis in Guantánamo nicht geräumt. Das ist ein Skandal, auf den aufmerksam gemacht werden muß.

Als die Dreharbeiten mit Obamas Amtseinführung begannen, war es da nicht etwas zu früh für ein solches Fazit?

Nein, wieso? Ich verstehe diese Frage nicht. Zu dem Zeitpunkt hatten wir ja noch Hoffnung. Das Fazit habe ich erst während der Dreharbeiten gezogen. Hätte ich gewußt, wie das Ganze heute aussehen würde, wäre ich um einiges enttäuschter an den Film herangegangen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Das soll keineswegs eine persönliche Abrechnung mit dem Präsidenten Obama sein. Ganz im Gegenteil. Ich sehe es nur als bewiesen an, daß, wenn ein afroamerikanischer Präsident wirklich etwas verändern will, er die »Hautfarbe« der gesamten US-amerikanischen Politik ändern muß. So wie es jetzt ist, verändert sich nichts. Unterm Strich ist das, was wir da sehen, dasselbe, was auch Bush gemacht hätte.

Und der einzige Staat, der von den US-Amerikanern blockiert wird, ist Kuba. Da frage ich mich: Was hat Kuba denn so Schlimmes getan? Ist es wirklich so böse?

Was unterscheidet Ihren Kuba-Dokumentarfilm von anderen?

Was mich aufregt, ist, daß die meisten Journalisten... – aber nein, natürlich gibt es Ausnahmen. Oliver Stone zum Beispiel, der hat einen wirklich nennenswerten Dokumentarfilm über Kuba abgeliefert, dafür aber keinen Vertrieb gefunden. Oliver Stone, Regisseur von »Platoon«, »JFK« und »Wallstreet«, Macher von zeitlosen Kinokunstwerken, findet in den USA keinen Vertrieb, weil er Kuba aus einem anderen Blickwinkel zeigen wollte. Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Also, was ist jetzt der Unterschied?

Ach so, ja, tut mir leid. Mich regt auf, daß sich die meisten Journalisten nur auf der Suche nach gewissen Stereotypen auf die Insel begeben. Geldgeile Prostituierte, die um die Hotels »Habana Libre« und »Internacional« flanieren, Taxifahrer mit Ray-Ban-Brillen, die sich gerne mehr Markenklamotten leisten können würden und desillusionierte Intellektuelle, die von der westlichen Meinungsfreiheit träumen. Das ist purer Sensationalismus. Ich habe versucht, ein anderes Kuba zu zeigen. Ohne Sensationalismus. Ich war zum Beispiel an sechs Universitäten auf Kuba, und kann mich nicht daran erinnern, in Europa jemals Universitäten von dieser Klasse gesehen zu haben. Das ist in meinem Film auch zu sehen. Ich verschweige nichts.

Sie haben vor einiger Zeit Dokumentarfilme über Diego Maradona und Fidel Castro gedreht. Mit beiden haben Sie länger gesprochen. Wie kam es zu dem Interview mit Castro?

Das Interview mit Fidel habe ich vor über 20 Jahren geführt, im Jahr 1987. Es war damals historisch. Das ist es bis heute geblieben. Es gibt nur zwei Filmemacher, die über einen längeren Zeitraum so eng mit Fidel zusammenarbeiten durften. Das sind Oliver Stone und ich. Oliver Stone, ein sehr ehrlicher und ehrbarer Kollege, kam damals zu mir und sagte: »Hör mal, Gianni, ich habe keine Fragen, die ich Fidel stellen könnte. Mit der kubanischen Politik kenne ich mich um Längen schlechter aus als du«.

Und dann hat er Ihnen das Gespräch vermittelt?

Sagen wir so: Ich habe mich getraut und bin bis heute der einzige, der mit Fidel ein so langes Filminterview führen durfte. Es gibt sonst nur auf fünf bis acht Minuten zurechtgeschnittene O-Töne, zum Beispiel von der US-Journalistin Barbara Walters. Mir kam das zum Zeitpunkt des Interviews mit Fidel in gewisser Weise sehr entgegen. So gab es noch viel über diese Persönlichkeit zu berichten. Heute sind wir befreundet.

Wie würden Sie die Privatperson Diego Armando Maradona beschreiben?

Diego ist einfach ein Junge von der Straße, der irgendwann bemerkt hat, daß er einen goldenen linken Fuß hat (lacht). Er hat die typische Karriere eines lateinamerikanischen »Stars« hingelegt. Mit Höhen und Miseren. Diego ließ sich schon immer einfach treiben, hatte sein Leben selten im Griff. Diese Leichtfüßigkeit machte ihn immer aus. Auf und neben dem Spielfeld. Er ist mittlerweile ein sehr enger Freund von mir, und ich liebe ihn von ganzem Herzen.

Haben Maradona und Castro charakterlich irgendwelche Gemeinsamkeiten?

Nein, überhaupt nicht. Fidel ist ein Intellektueller. Er war schon vor dem Sturm auf die Moncada-Kaserne ein gereifter Mann. Danach hat er sich in Santiago de Cuba vor dem Tribunal selbst verteidigt und seinen berühmten Satz »Die Geschichte wird mich freisprechen« ausgerufen. Das allein zeugt von einer unvergleichlichen Größe. Wie viele solcher poetisch anmutenden Zitate kennt man von Diego Maradona? Fidel hat immer selbst seinen Weg gewählt, bewußt gelebt. Das sind zwei entgegengesetzte Charaktere. Den Umstand, daß beide Protagonisten der modernen Geschichte Lateinamerikas sind, werte ich nicht als Gemeinsamkeit.

Sie haben als Sportjournalist angefangen. Wie sind Sie zur Politik gekommen?

Der Sport ist mir einfach zu kapitalistisch geworden. Diego ist doch das beste Beispiel dafür. Irgendwann war eine zu große Maschinerie dahinter, zuviel Geld im Spiel. Das Sportgeschäft ist sehr brutal. Es liebt dich als Sportler nur, solange du funktionierst und produzierst. Das wurde mir einfach zu schmutzig.

15 Jahre lang war ich leidenschaftlicher Sportjournalist. Damals hatte der Sport, vor allem der Fußball, eine Seele und ein Herz. Dann kam das Doping, die Sportwetten, die Korruption. Das hat mich anfänglich enttäuscht, später dann nur noch gelangweilt. Ich hatte schon bei drei oder vier Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften als Journalist gearbeitet, alle möglichen Sportler interviewt und kennengelernt. Es gab für mich irgendwann nichts mehr zu entdecken. Da war es Zeit, die Segel zu setzen.

Und wohin ging die Reise?

Ich bin erst mal bei der Musik gelandet. Jazz, Rock, lateinamerikanische Musik– ich habe viele Dokumentarfilme über die verschiedensten Musikstile gemacht. Und dabei immer Faszination für die Musiker verspürt, die Menschen hinter den Instrumenten und den Mikrofonen. Sie waren in meinen Augen so viel versierter als die Sportler. Sie hatten nichts Banales an sich.

Viele der Musiker die ich kennengelernt habe, darunter Ray Charles und Stevie Wonder, waren Intellektuelle. Sie waren politisch gebildet, hatten eine eigene Meinung zu den Dingen. Ganz anders als das, was ich bis dahin von Sportlern gewohnt war.

»Kuba in der Epoche von Obama« habe ich an vielen Stellen einfach mit Songs der kubanischen Liedermacher Pablo Milanés und Silvio Rodriguez unterlegt. Den Texten habe ich als Journalist nichts mehr hinzuzufügen. Was ich an diesen Stellen gesagt hätte, drücken ihre Lieder viel besser aus. Es erspart mir außerdem eine Menge Arbeit (lacht).

Von der Musik zur Politik war es also ein eher fließender Übergang. In meinen Filmen spielt die Musik immer eine sehr wichtige Rolle.

Vor drei Jahren wurde Ihnen eine Berlinale-Kamera verliehen, ein Preis für besonders enge Freunde des Festivals. Wie kam es dazu?

Das war eine ganz besondere Ehre. Dieter Kosslick (der Berlinale-Chef, jW) hatte mich vorher in Rom besucht. Ich stellte zu dem Zeitpunkt gerade 31 meiner Dokumentarfilme eine Woche lang in einem Kino vor. Das scheint ihm gefallen, vielleicht auch etwas imponiert zu haben. So hat die Berlinale Wind von mir bekommen und mich prämiert, obwohl ich nach der Verbannung aus dem italienischen Fernsehen durch Berlusconi sonst eher gemieden wurde. Das zeugt von Mut zur Unabhängigkeit, etwas, was die Berlinale für mich einzigartig macht.

Gibt es jemanden, den Sie beim Festival in diesem Jahr vermißt haben?

Ich muß zugeben: Ich bin vom alten Clint Eastwood total fasziniert. Als ich noch jung war, hatte er in unseren Kreisen stets den Ruf eines Reaktionärs weg. Irgendwann habe ich mich näher mit seinen Filmen und seiner Person auseinandergesetzt und bin zu einem richtigen Fan geworden.

Soweit ich weiß, hatte Eastwood keinen Film auf der Berlinale. »Invictus« mit Morgan Freeman als Nelson Mandela kam während des Festivals ganz regulär in die Kinos.

Ja, das stimmt. Aber wäre er hier gewesen, hätte ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ihn zu treffen (lacht). Spaß beiseite, ich habe bei meinem Berlin-Besuch mehr als genug zu tun mit der Vorstellung von »Kuba in der Epoche von Obama« – meine Töchter sind zum ersten Mal dabei, und ich muß schnell wieder nach Hause und den Film endlich fertig kriegen. Was ich hier gezeigt habe, war ja nur eine Vormontage.

Eine Art Zwischenergebnis?

Ja, ein unfertiges Resultat. Eigentlich sollte der Film ja auf der Berlinale präsentiert werden. Weil ich eine Zeitlang sehr krank war, bin ich nicht einmal annähernd fertiggeworden. Die Berlinale-Leute waren nicht sehr begeistert, als ich das gebeichtet habe. Ich mußte ihnen versprechen, einen kleinen »Vorabfilm« zusammenzuschnippeln und in Berlin zu zeigen. So bin ich wenigstens am Rand dieses großartigen, weltoffenen Festivals dabeigewesen.

junge Welt Interview: Luis »Lucry« Cruz
Junge Welt, 06.03.2010









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