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Die Revolution ist keine Nostalgie
1990 prangerte Fidel Castro den »Verrat« Mittelosteuropas an.
Heute ist Kuba Teil einer Sozialismusdebatte in Lateinamerika.
Der Konflikt eskalierte im März 1990. Trotz der geopolitischen Umbrüche war das sozialistische Kuba mit breiter Mehrheit in den Sicherheitsrat der Organisation der Vereinten Nationen gewählt worden. Washington aber hatte andere Pläne. Mit Hilfe der internationalen Finanzorganisationen IWF und Weltbank und mit Unterstützung der NATO versuchte die Regierung von George Bush sen., die Wahl der revolutionären Regierung zu verhindern. Unterstützt wurden sie von der tschechoslowakischen und der polnischen Regierung – ohne dass diese Staatsführungen sich auf die Seite des republikanischen US-Präsidenten hätten stellen müssen.
Fidel Castro konterte die letztlich gescheiterte Sabotage am 7. März 1990. Die CSSR und Polen – als bisher sozialistische Länder – verdienten diese Bezeichnung nicht mehr, »weil in diesen Staaten die rechte Opposition, die prokapitalistische Opposition die Zügel übernommen hat«. Die Rede vor dem Kongress des kubanischen Frauenverbandes FMC war die erste Generalabrechnung des kubanischen Revolutionsführers mit den neuen Reformregierungen in Mittelosteuropa. Hat die Geschichte ihm Recht gegeben?
Ein weiteres für den kubanischen Sozialismus entscheidendes Datum jährte sich dieser Tage: Am 24. Februar 2008 wurde Raúl Castro von der Nationalversammlung in Havanna zum Präsidenten des Staatsrates und des Ministerrates gewählt. Wenige Tage zuvor hatte Fidel Castro in der Tageszeitung »Granma« erklärt, nicht mehr für diese Ämter zur Verfügung zu stehen. Der neue Staats- und Regierungschef setzte in seiner Antrittsrede wichtige Eckpunkte. Die Belange »jedes Einzelnen« würden beachtet werden, sagte Raúl Castro, der Ende des Vorjahres eine Befragung über die Probleme der Bevölkerung initiiert hatte. Er werde sich dafür einsetzen, »übertriebene Verbote« abzuschaffen.
Im Ausland wurde diese Ansage als Möglichkeit vorsichtiger Systemreformen interpretiert – zu Unrecht, wie Raúl Castro selbst erklärte. Der gerade vereidigte Staatschef verurteilte jene Kräfte, »die darauf beharren, die Beziehungen zu Kuba von einer sogenannten Transition abhängig zu machen, die auf die Zerstörung des Ergebnisses so vieler Jahre des Kampfes abzielt«.
Die Verbindung beider Reden ist bedeutsam, um eine Grundlage der heutigen Sozialismusdebatte in Kuba zu verstehen: Ihr liegen die Erfahrungen von 1990 zugrunde. Bei seiner Rede im März jenes Jahres sagte Fidel Castro mit Blick auf die neuen mittelosteuropäischen Rechtsregierungen: »Ihr erster Verrat fußt in ihrer Angst vor dem Namen, den sie über Jahrzehnte hinweg getragen und den sie nun abgelegt haben: Kommunisten.« Die »revolutionären Reformen« Mittelosteuropas bestünden allein darin, dass ehemalige sozialistische Staaten sich nun an die Seite der USA stellten, um in dem Disput um den Sitz im UNO-Sicherheitsrat Kuba zu attackieren. 13 Jahre später fand US-Verteidigungsministerminister Donald Rumsfeld die dünkelhafte Vokabel des »neuen Europa« – als es um die Unterstützung des US-Angriffs auf Irak ging. Fidel Castros Prophezeiung des politischen Werdegangs der einstigen Bruderstaaten erfüllte sich.
Die Frage heute ist aber weniger historisch denn konkret und aktuell: Hat der kubanische Sozialismus die letzten zwei Jahrzehnte überlebt, oder lebt er, und entwickelt er sich? In einem Interview mit dem lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur äußerte sich der kubanische Liedermacher Silvio Rodríguez dazu unlängst. Kuba werde »wie Prometheus behandelt«, so Rodriguez, der das »hohe Maß an Scheinheiligkeit« in der aktuellen Kuba-Debatte beklagt. Es genüge heute nicht mehr, eine pazifistische oder solidarische Haltung einzunehmen. »Der Sozialismus muss heute im Wettstreit der Systeme stehen«, so Rodríguez – auch mit Blick auf die regionale Integration der anti-neoliberalen Staaten Lateinamerikas und der Karibik.
Der Einwurf des Künstlers steht nicht isoliert. In Kuba wird heute eine Sozialismusdebatte geführt, die weit über die Grenzen des Landes hinausgeht. Der Unterschied zu Europa bestehe darin, erklärte Kubas Parlamentspräsident Ricardo Alarcón aus Anlass des zehnten Jahrestages der Bolivarischen Revolution in Venezuela, dass die Länder des Südens weniger Spielraum haben und die Gewalt der postkolonialen Ordnung direkter zu spüren bekommen.
Venezuela ist ein klares Beispiel: Während in Europa der Kapitalismus restauriert wurde, kam es in dem südamerikanischen Land zu sozialen Unruhen, die von der »sozialdemokratischen« Regierung unter Carlos Andrés Pérez blutig niedergeschlagen wurden. 1989 steht im lateinamerikanischen Gedächtnis seither nicht mehr nur synonym für den Fall der Mauer, sondern auch für den »Caracazo«, das Massaker an Tausenden Demonstranten, die in Venezuela gegen die Folgen der neoliberalen Reformen auf die Straße gingen. Alarcón stellte in seiner Rede in Caracas die Verbindung zum Urteil Fidel Castros von 1990 her: »Am 27. Februar 1989 zog das Volk (Venezuelas - H. N.) auf die Straßen, um gegen den Defätismus und den Verrat zu protestieren, der es zum Hunger verdammte.«
Dieser regionale und historische Kontext findet in der medialen Debatte über das sozialistische Kuba zwei Jahrzehnte nach den geopolitischen Umbrüchen des Jahres 1990 kaum Beachtung. Zwei Jahre nach Amtsantritt Raúl Castros seien die »Erwartungen an einen Wandel enttäuscht worden«, schrieb die spanische Nachrichtenagentur EFE zum zweiten Jahrestag der Amtsübernahme des Staats- und Regierungschefs vor wenigen Tagen, um US-Experten wie den Autoren eines Buches mit dem Titel »Transition in Kuba« als Zeugen anzuführen. Tatsächlich läuft die Diskussion über Reformen innerhalb der staatlichen Institutionen Kubas auf Hochtouren.
Das Problem: Die Legitimität dieser Institutionen wird im westlichen Mediendiskurs über Kuba nicht anerkannt, der heute einer politischen Antithese zu Fidel Castros »Worten an die Intellektuellen« folgt. Diese postulierten 1961: »Innerhalb der Revolution, alles; entgegen der Revolution, nichts.«
Entscheidend für Kuba wird der nächste Parteitag der regierenden Kommunistischen Partei (PCC) sein. Anfang April wird der landesweite Kongress der Jugendorganisation der PCC, der Union Junger Kommunisten (UJC), stattfinden. Schon jetzt laufen die Debatten innerhalb der Organisation auf regionaler Ebene.
Es gehe darum, die kubanische Jugend in die Produktionsprozesse einzubinden, sagte die Erste Sekretärin der UJC, Zunilda García Garcés, bei einem Treffen der Organisation in der östlichen Provinz Guantánamo. Bislang ist es nicht hinreichend gelungen, junge Arbeiter in der Landwirtschaft einzubinden – die finanziellen Anreize sind zu schwach.
Eine Stimulierung der agrarwirtschaftlichen Produktion aber ist unabdingbar, um die Versorgung zu gewährleisten und die Abhängigkeit vom internationalen Markt zu verringern. Das Problem besteht nicht nur in Kuba: Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität, beide Konzepte spielen zugleich eine Hauptrolle bei der Entwicklung der regionalen Wirtschaftskooperation zwischen den karibischen und lateinamerikanischen Staaten.
»Die laufenden Beratungen der UJC sind zugleich der erste Schritt bei der Vorbereitung des kommenden Parteitags der PCC«, sagte im ND-Gespräch in Havanna Mauricio Martínez, Mitglied der internationalen Abteilung der Partei.
Dieser Parteitag ist überfällig. Eigentlich sollte er schon Ende vergangenen Jahres stattfinden, wurde dann aber »angesichts der anstehenden Aufgaben«, so Raúl Castro, verschoben.
Schon jetzt ist aber klar, dass die Aussprache auf dem PCC-Kongress sich nicht auf Kuba beschränken wird. In einem halben Dutzend Staaten der Region wird inzwischen ein – wenn auch weitgehend diffuser – »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« diskutiert, der auf eine wirtschaftliche, politische und kulturelle Souveränität der Staaten des Südens abzielt.
Havanna spielt bei diesem Meinungsaustausch eine führende Rolle. Über Kuba hinaus gilt heute, was Fidel Castro am 7. März 1990 erklärte: »Die revolutionäre Bewegung wird sich immer durch ihre prinzipielle, mutige und standhafte Haltung gegenüber dem Kolonialismus, dem Neokolonialismus und Imperialismus auszeichnen.«
Harald Neuber
Neues Deutschland 06.03.2010
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