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Menschenrechtsrhetorik und Kulturboykott: Die bundesdeutsche Kuba-Politik


Die Bundesrepublik erbte mit der Einverleibung der DDR eine ganze Reihe von Rechten und Pflichten aus deren internationalen Verträgen. Im Einigungsvertrag war die Rede von "Vertrauensschutz" und "gewachsenen außenwirtschaftlichen Beziehungen". Das bedeutete u.a. die Verpflichtung, jährlich 24.000 Tonnen Milchpulver an Kuba, dessen zweitwichtigster Handelspartner die DDR gewesen war, zu liefern. Zugleich erbte die Bundesregierung 850 Millionen Transferrubel Schulden Kubas. Bonn versuchte die Schulden in Havanna einzutreiben und kündigte die Handelsverträge umgehend.

Das war die Ausgangslage der "Deutschen Kuba-Politik seit 1990", die das Thema des Buches von Steffen Niese ist. Er zeichnet kenntnisreich, gestützt auf viele Quellen Aspekte der Kuba-Politik verschiedener Bundesregierungen von Kohl bis Merkel nach. Natürlich referiert Niese auch die Haltung der USA und der Europäischen Union gegenüber Kuba, vor allem hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Bonn bzw. Berlin.

Dies ist zugleich eine gewisse Schwäche der Untersuchung. Niese beleuchtet vor allem die staatlichen Institutionen, zitiert offizielle Erklärungen und greift häufig auf die parlamentarischen Initiativen der PDS bzw. der Partei Die Linke zurück. Unterrepräsentiert bleiben dem gegenüber die Aktivitäten der Kuba-Solidaritätsbewegung. Nur am Rande erwähnt der Autor z.B. das erfolgreiche Durchbrechen des deutschen Kulturboykotts 2004 gegen Kuba bei der Buchmesse in Havanna. Die Kampagne "Milch für Kubas Kinder", mit der "Cuba Sí", eine Arbeitsgemeinschaft der damaligen PDS, auf die Einstellung der Milchlieferungen an Kuba reagierte, ebenso wie die Solidaritätsbrigaden der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, der DKP und anderer Organisationen kommen im Buch nicht vor. Hier wäre ein etwas breiterer Blickwinkel nützlich gewesen, um die "deutsche Kuba-Politik" insgesamt erfassen zu können.

Eine Stärke des Buches ist hingegen Nieses Auseinandersetzung mit der Menschenrechtsrhetorik der Bundesregierung und der Parlamentsparteien. Diese ist, wie er feststellt, "seit etwa Mitte der 80er Jahre konstituives Element der deutschen Kuba-Politik". Tatsächlich gehe es dabei jedoch weniger um tatsächliche Verteidigung der Menschenrechte, sondern um "ihre bewußte und gezielte Instrumentalisierung", Die Kritik der Bundesregierung blende den historischen Kontext und die sich aus der Auseinandersetzung mit den USA ergebende spezielle Lage Kubas aus. Allerdings fehlt ein Hinweis auf die Kuba-Debatte der PDS, die 2006 durch die Zustimmung ihrer damaligen Europaabgeordneten Gabi Zimmer und Helmuth Markov zu einer Resolution gegen angebliche Menschenrechtsverletzungen in Kuba ausgelöst wurde.

Generell ist der Band eine hilfreiche Übersicht über die Entwicklung der Kuba-Politik von Bundesregierung und Bundestag in den vergangenen zwei Jahrzehnten und schließt damit eine Lücke.

Steffen Niese Die deutsche Kuba-Politik seit 1990 - Bilanz und Perspektiven
Papyrossa Verlag, Köln 2010, 126 Seiten, 12 Euro


junge Welt André Scheer
Junge Welt, 29.03.2010











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