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Mit oder ohne R
Silvio Rodríguez auf der »Antiimperialistischen Tribüne« in Havanna


Vor Tausenden Menschen haben am Sonnabend in Havanna und Santiago de Cuba die bekanntesten Künstler Kubas ein Zeichen gegen die internationale Kampagne gesetzt, die seit dem Tod des Gefangenen Orlando Zapata gegen die Insel entfeáelt wird. Auf der »Antiimperialistischen Tribüne« am Malecón von Havanna, direkt gegenüber der US-Interessenvertretung, sowie vor der früheren Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba begeisterten unter anderem Baby Lorens, Pupi y los que Son Son, Amaury Pérez, Sara González, Gerardo Alfonso, Moneda Dura, Raúl Torres und Buena Fe. Bekannte Schriftsteller wie Miguel Barnet rezitierten aus ihren Texten und sorgten so mit dafür, daß der politische Charakter der Veranstaltungen nicht unterging.

Mit Spannung erwartet wurde der Auftritt von Silvio Rodríguez, den internationale Medien in den vergangenen Wochen gegen die Revolution in Stellung zu bringen versuchten. So hatten unter anderem der Spiegel und die Frankfurter Allgemeine Zeitung behauptet, Rodríguez habe »Castro die Gefolgschaft« gekündigt. Das »Nachrichtenmagazin« schrieb, Rodríguez habe »in Anwesenheit von Kulturminister Abel Prieto während der Vorstellung seiner neuen CD« erklärt, das »›R‹ im Wort ›Revolution‹ müsse ›überwunden werden‹«. Tatsächlich stammen diese Zeilen aus Rodríguez’ neuem Lied »Sea seäora«, das Bestandteil dieser problemlos in Kuba veröffentlichten CD ist. Bei der Vorstellung der CD von einer Besucherin auf diese Liedzeilen angesprochen, antwortete Rodríguez: »Ich glaube, daß dies ein Augenblick ist, an dem die Revolution, das nationale Leben, das Land, lautstark eine Überprüfung vieler Dinge einfordern, angefangen bei Konzepten, bis hin zu Institutionen«.

Damit kündigt Rodríguez allerdings den »Castro-Brüdern« keineswegs die Gefolgschaft auf, sondern befindet sich auf einer Linie mit dem kubanischen Präsidenten Raúl Castro. Der hatte am 4. April zum Abschluß des Kongresses des Kommunistischen Jugendverbandes (UJC) erklärt: »Viele der analysierten Mängel sind nicht neu, sie begleiten die Organisation seit sehr langer Zeit. (…) Wir dürfen nicht zulassen, daß die verabschiedeten Dokumente erneut zu einem nur auf dem Papier stehenden, leblosen Schreiben werden und nur als Memoiren aufbewahrt werden.

« Die Aussagen von Silvio Rodríguez wurden übrigens unter anderem von der Juventud Rebelde, nach der Granma die wichtigste Zeitung des Landes, sowie in dem populären Internetportal Cubadebate.cu veröffentlicht. Trotzdem behauptet der Spiegel: »Kubanische Medien verschweigen die Äußerungen.

« Bei dem Konzert verzichtete Rodríguez darauf, selbst zu singen. Stattdessen rezitierte er seine jüngst veröffentlichten »Fragen eines träumenden Trovadors«, ein in Anlehnung an Bertolt Brechts »Fragen eines lesenden Arbeiters« formuliertes und diesem gewidmetes Gedicht. Gerichtet an Medienkonzerne und Politiker, die sich der Kampagne gegen Kuba angeschlossen haben, heißt es darin unter anderem: »Wenn ein Hungerstreikender fordern würde, daß Obama die Blockade aufhebt – würde ihn die Prisa-Gruppe (spanischer Medienkonzern – d. Red.) unterstützen? Wenn die Tausenden Kubaner, die ihre Familie bei Attentaten der CIA verloren haben, einen Anklagebrief schreiben würden, würde ihn Carlos Alberto Montaner unterschreiben?

« Aus diesem Gedicht hat sich ein ganzer Briefwechsel zwischen Rodríguez und Montaner entwickelt. Dieser 1943 in Havanna geborene Schriftsteller hatte Kuba 1961 zunächst in Richtung Miami verlassen und war 1970 nach Franco-Spanien übergesiedelt. Heute ist er einer der Vizepräsidenten der Liberalen Internationale, gemeinsam mit dem honduranischen Putschisten Roberto Micheletti. Dieser Montaner antwortete auf die von Silvio im Gedicht aufgeworfene Frage, daß er einen solchen Brief »selbstverständlich« unterzeichnen würde. Aber würde der Sänger auch eine Anklage »der Übergriffe auf die politischen Gefangenen und kubanischen Dissidenten, der Zensur, Einheitspartei und Verfolgung aufgrund politischer Ideen« unterzeichnen? Silvio wiederum beschied Montaner, »ein verzerrtes Kuba-Bild (zu) zeichnen, daß die monströsen Senderketten verbreiten«. Montaner sei von dem selben Haß geprägt, den auch diejenigen hegten, »die Flugzeuge voller unschuldiger Menschen abstürzen ließen«, womit er auf das Attentat auf ein kubanisches Verkehrsflugzeug anspielte, das 1976 von konterrevolutionären kubanischen Terroristen verübt wurde. Dabei waren 73 Menschen ums Leben gekommen.

»Ich habe mehr Gründe, an diese Revolution zu glauben als an ihre Widersacher«, so die Schlußfolgerung des weltberühmten Sängers.

junge Welt André Scheer
Junge Welt, 13.04.2010









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