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»Konkurrenz zwischen Raúl und Fidel ist eine Erfindung«
Kubas Kommunisten wollen den Sozialismus verändern, um ihn zu stärken, nicht, um ihn zu zerstören.
Ein Gespräch mit Joaquín Suárez
Joaquín Suárez ist Funktionär der ideologischen Abteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas
Ursprünglich sollte bereits im vergangenen Jahr der Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas stattfinden, er wurde jedoch verschoben. Wie entwickelt sich die Debatte derzeit?
Mit dem Kongreß der KP Kubas werden große Erwartungen verknüpft. Der Erste Sekretär der Partei, Genoúe Raúl Castro, hat öffentlich erklärt, daß wir Schritt für Schritt vorgehen, um den kubanischen Sozialismus zu aktualisieren. Das erfordert eine Reihe von Maßnahmen, von strukturellen Veränderungen. Deshalb müssen wir auf dem Parteitag eine klare Perspektive haben, was geändert werden muß.
In Kuba dürfen wir uns nicht irren! Wenn wir das täten, wäre das für uns nicht nur das Ende des Sozialismus und der Revolution, sondern auch das der Nation. Ich übertreibe nicht, denn Kuba ist das einzige Land der Welt, gegen das die USA ein eigenes Gesetz erlassen haben und jährlich fünf Millionen Dollar investieren, um unsere Regierung zu stürzen. Die Mittel, die früher gegen die sozialistischen Länder Europas, z. B. gegen die DDR und die Sowjetunion, eingesetzt wurden, richten sich jetzt gegen Kuba.
Es wird immer wieder behauptet, in Kuba gebe es eine Konkurrenz zwischen zwei Entscheidungszentren: Fidel Castro und sein Bruder Raúl. Diese Behauptung hat u. a. der in Mexiko-Stadt lehrende Sozialwissenschaftler Heinz Dieterich in der Donnerstagausgabe der jW aufgestellt.
Als Fidel in seiner Proklamation an das kubanische Volk öffentlich erklärte, daß er sich einer Operation unterziehen muß, gab es kein Machtvakuum, sondern die Präsidentschaft wurde, wie es die Verfassung vorschreibt, an seinen bisherigen Stellvertreter Raúl übertragen. Natürlich hat der Imperialismus auch in dieser Situation versucht, die Revolutionäre und das Volk zu spalten, indem er eine Konkurrenz zwischen Fidel und Raúl erfand. Raúl wollte angeblich Veränderungen, Fidel aber nicht.
Diese Behauptung wurde in allen Medien und auch im Internet ständig wiederholt. Fidel und Raúl haben aber zusammen am 26. Juli 1956 die Moncada-Kaserne angegriffen, sie gingen zusammen nach Mexiko und kehrten gemeinsam auf der »Granma« nach Kuba zurück. Sie kämpften gemeinsam in der Sierra Maestra, und mehr als 50 Jahre lang haben sie an der Spitze des kubanischen Volkes allen Kampagnen gegen die Revolution widerstanden.
Die Wahrheit ist, daß es in Kuba eine umfassende Einheit zwischen dem Volk und der Partei gibt. Wenn es anders wäre, könnten wir die Aufgabe gar nicht erfüllen, die Organisation unseres Staates neu zu gestalten. Sogar der Imperialismus muß das zugeben. So hat US-Senator Richard G. Lugar in einem Bericht festgestellt, daß die staatlichen Institutionen funktionieren. Deshalb sei die US-Politik gegen Kuba gescheitert, es werde keine Katastrophe, keinen Aufstand und keinen Zusammenbruch geben.
Als Raúl Präsident wurde, verbanden westliche Beobachter und Journalisten damit Hoffnungen auf Veränderungen. Heute zeigen sich viele enttäuscht...
Raúl hat von Anfang an erklärt, daß er gewählt wurde, um den Sozialismus zu festigen, nicht um ihn zu zerstören. Es sind diejenigen, die den Interessen des Kapitals folgen, die sich nun enttäuscht geben. Wir, die Partei mit Raúl an der Spitze und mit Fidel, der u. a. mit seinen regelmäßig veröffentlichten »Reflexiones« auch heute noch seinen Beitrag leistet, werden weiter unsere Gesellschaft perfektionieren.
Momentan gibt es Probleme in der Landwirtschaft, über die auch die kubanischen Medien berichten. Wie geht Ihre Partei damit um?
In den vergangenen Jahren hatten wir keine Strategie für den Umgang mit der Landwirtschaft. Einige der strukturellen Veränderungen, die wir jetzt vorgenommen haben, zeigen bereits Ergebnisse. Wir haben z. B. begonnen, brachliegende Flächen zu verteilen. Jeder Kubaner konnte um die Zuteilung von Ackerland bitten, mehr als 100000 Menschen haben bereits davon profitiert. Dieser Prozeß wird weitergehen, denn er ist auch eine Möglichkeit, Arbeitern eine neue Beschäftigung zu geben, die aufgrund der gegenwärtigen Veränderungen ihren bisherigen Arbeitsplatz verlieren.
Interview: André Scheer
Junge Welt, 25.06.2010
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