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Die entscheidende Schlacht


Havanna. Um den Sozialismus zu schützen, muß Kuba seine Wirtschaft umstrukturieren. Auf die neue Generation kommen schwere Aufgaben zu. Nach der CIA-Invasion in der Schweinebucht im April 1961 ging ein Bild um die Welt, das wie kaum ein anderes die Entschlossenheit der kubanischen Jugend zur Verteidigung ihrer Revolution symbolisierte.

Es war das Foto eines jungen Milizionärs, der nach einem Angriff von US-Flugzeugen auf kubanische Flughäfen mit seinem eigenen Blut »Fidel« an eine Wand schrieb, bevor er seinen Verletzungen erlag.

Im April dieses Jahres kündigte Kubas Präsident Raúl Castro für das kommende Jahr, zum 50. Jahrestag dieser ersten Niederlage des US-Imperialismus auf lateinamerikanischem Boden, große Feierlichkeiten an. Der Ort für diese Bekanntmachung war mit dem Kongreß des Kommunistischen Jugendverbandes UJC bewußt gewählt, denn gerade die jungen Generationen Kubas stehen vor großen Herausforderungen.

Obwohl sich Kuba nach wie vor von einer imperialistischen Aggression von außen bedroht sieht, findet die entscheidende Schlacht, die Kuba heute zu schlagen hat, im Inneren statt. Die Auswirkungen der globalen kapitalistischen Krise haben in Kuba strukturelle Probleme zum Vorschein gebracht. Die Formen der Produktion, der Güterverteilung und der Arbeit, die sich in den ersten Jahrzehnten der Revolution unter den Bedingungen einer internationalen Arbeitsteilung der sozialistischen Länder im Rahmen des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) herausgebildet hatten, engen heute die vom Weltmarkt abhängige kubanische Wirtschaft ein.

Deshalb hat sich eine intensiv und öffentlich geführte Debatte entwickelt, zu deren Schlagworten Begriffe gehören wie Produktivitätssteigerung, leistungsabhängige Entlohnung, Dezentralisierung und Bürokratieabbau, Steigerung der Eigenverantwortung und Abbau von staatlichem Paternalismus, die Bekämpfung von Korruption und Unterschlagung sowie die Verpachtung staatlicher Kleinbetriebe in ausgewählten Bereichen wie der Gastronomie.

Kuba steht vor der Aufgabe, die Wirtschaft den neuen Realitäten anzupassen, um ihren sozialistischen Charakter zu erhalten. Der nun wohl für 2012 vorgesehene sechste Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas soll diese komplizierten sozioökonomische Wandlungen endgültig festlegen. Seiner Vorbereitung dienen der eingangs erwähnte Kongreß des Jugendverbandes wie auch die Regionalkonferenzen der Partei und Zusammenkünfte der Massenorganisationen in wichtigen Produktionszweigen.

Auf dem zehnten Kongreß der kubanischen Bauarbeitergewerkschaft im Mai wurden Managementfehler und das regelmäßige Verstoßen gegen Verträge, die schlechte Qualität der übergebenen Bauprojekte und die Unterschlagung von Materialien in der kubanischen Bauwirtschaft angeprangert. Fast die Hälfte der Gewerkschaftsfunktionäre wurde abgelöst.

Im gleichen Monat kam auch der Kleinbauernverband ANAP zu seinem zehnten Kongreß zusammen, um die Situation in der Landwirtschaft, der Achillesferse der kubanischen Wirtschaft, zu analysieren. In der Lebensmittel produzierenden ­Agrarökonomie scheint die Zeit der mächtigen Staatsbetriebe zu Ende zu gehen. Statt dessen wächst die Zahl der Kooperativen und mit ihnen ein ungeregelter »Arbeitsmarkt« für Landarbeiter. Wirtschafts- und Planungsminister Marino Murillo Jorge wies der Tageszeitung Granma zufolge vor den Delegierten auf das Mißverhältnis hin, daß die in Kooperativen organisierten Privatbauern auf nur 41 Prozent der Nutzflächen 70 Prozent der Ernten erzeugen.

Die staatlichen Betriebe, die den Großteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten unter Vertrag haben, produzieren hingegen ineffizient. Der im industriellen Stil betriebene Zuckerrohranbau vermeldet trotz massiver Rationalisierungsmaßnahmen die schlechteste Ernte seit dem Sieg der Revolution, was den bisherigen Minister für die Zuckerproduktion, Luis Manuel Avila, sein Amt kostete.

Aus Mangel an Ressourcen ist die kubanische Landwirtschaft auf Ochsenzüge, Biodünger und Kleinparzellenbewirtschaftung zurückgeworfen. Diese gehemmte Produktivkraftentwicklung mag aus ökologischer Sicht erfreulich sein, aber der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten ist so mit sieben Prozent zu wenig, um den Lebensmittelbedarf des Landes zu decken.

Das Ergebnis ist, daß Kuba zur Zeit selbst bei Nahrungsmitteln, die erfolgreich auf der Insel angebaut werden könnten, von ausländischen Importen abhängig ist. Gleichzeitig liegen große Teile des landwirtschaftlichen Terrains brach. Um diese Lebensmittelimporte möglichst weitgehend durch Eigenproduktionen zu ersetzen, starteten die kubanische Regierung und ANAP eine Kampagne, um die nicht bebauten Felder an Kleinbauern zu verpachten. Erste Erfolge sind sichtbar.

Die kubanische Landwirtschaft und auch der Bausektor stehen zudem vor einem Problem anderer Natur: Dem Mangel an Nachwuchskräften. Die hohe Qualität und die breite Zugänglichkeit des kubanischen Bildungssystems haben zu einer Akademisierung der Gesellschaft geführt. Doch dadurch ist die Anziehungskraft technischer und landwirtschaftlicher Berufe auf die junge Generation auf ein Minimum gesunken. In der Zweimillionenstadt Havanna finden sich, wie sich kürzlich zeigte, keine 200 Jugendlichen mehr, die sich für eine Ausbildung zum Lokführer begeistern können. Die geisteswissenschaftlichen Studiengänge an den Universitäten sind dagegen überfüllt, und in Kuba stehen nach Regierungsschätzung über eine Million Menschen auf der Gehaltsliste des Staates, ohne daß sie effektiv eine Arbeitsleistung erbringen würden. Eine der schwierigsten Aufgaben, die Kuba in den nächsten Jahren zu bewältigen haben wird, ist die Versetzung dieser unproduktiven Staatsangestellten in produktive Bereiche, namentlich in die Land- und Bauwirtschaft.

Die jungen Kubaner werden diese Maßnahmen am stärksten spüren. Seit diesem Jahr werden an den Universitäten die Agrarökonomie und ähnliche technische Studiengänge stark gefördert und zugleich die Aufnahmebedingungen für humanistische Fächer verschärft. Die Generation, die ihre Kindheit unter den schwierigen Bedingungen der Sonderperiode der neunziger Jahre hinter sich gelassen und ihre Jugend in Anlehnung an die individualistischen Konsumleitbilder des globalisierten Kapitalismus verbracht hat, wird lernen müssen, die Notwendigkeiten der gesellschaftliche Produktion vor die individuellen Ziele zu stellen.

Die anstehende strategische Umorientierung Kubas auf den produktiven Sektor und die landwirtschaftliche Produktion wird ihre Lebensperspektive dramatisch verändern. Die große Aufgabe wird nun sein, dieser Jugend zu vermitteln, daß die ökonomischen Herausforderungen der heutigen Zeit zwar möglicherweise ungleich komplizierter und weniger heroisch wirken als die Schlacht in der Schweinebucht vor beinahe einem halben Jahrhundert, daß aber ihre Bewältigung dennoch für die Zukunft des sozialistischen Kubas nicht weniger entscheidend sein wird als der Sieg der jungen kubanischen Milizen über die CIA-trainierten Invasoren im Jahre 1961.

Tobias Kriele lebt und studiert in Havanna. Ab Herbst 2010 wird auch in Deutschland sein Dokumentarfilm »Zucker und Salz« zu sehen sein.

junge Welt Tobias Kriele
Junge Welt, 21.07.2010








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