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Zwanzig Jahre danach
Solidarität mit Waffen und Wissen: Kubas Internationalismus im Süden des afrikanischen Kontinents.
Anfang August 1990, fast auf den Tag genau vor zwanzig Jahren, erregten auf dem Airport Frankfurt/Main einige Dutzend schwarze Kinder, jeweils in Pärchen Hand in Hand, Aufsehen. Die Gruppe zog durch eine der monströsen Flughafenhallen, vorweg die namibische Fahne en miniature, eine Art Wimpel.
Das Land im Südwesten Afrikas war im März 1990 unabhängig von Südafrika geworden. Das geschah zu einer Zeit, in der das Solidaritätskomitee der DDR bereits verzweifelte Spendenappelle an die Öffentlichkeit des untergehenden Landes richtete, doch für das Kinderheim der Volksbefreiungsbewegung Namibias (SWAPO) zu spenden, das 1979 in einem Schloß des 300-Seelen-Dorfs Bellin bei Güstrow eingerichtet worden war. Patenschaften wurden seit Anfang 1990 gesucht. Zehntausende Mark gingen trotz der Turbulenzen jener Tage auch ein, doch letztlich hatte sich die Stimmung im Land gewendet. Spätestens mit der »Währungsunion« im Juni beendete die »harte D-Mark« auch die DDR-Solidarität, die mit einem Hilferuf der SWAPO begonnen hatte.
Fidel Castro erinnert sich im Gespräch mit Ignacio Ramonet (»Mein Leben«, 2008) an das Massaker im angolanischen Kassinga 1978. Südafrikanische Fallschirmjäger richteten in dem dortigen namibischen Flüchtlingslager »mit unaufhörlicher Unterstützung moderner Kampfflugzeuge ein unglaubliches Gemetzel« an. Kubanische Truppen »drangen praktisch ungeschützt und unter feindlichen Luftangriffen zu diesem Ort vor, wo Kinder, Frauen und alte Leute massakriert wurden«. Letztlich wurden die Angreifer besiegt und vertrieben, »Hunderte von Überlebenden oder verletzten Kindern wurden nach Kuba gebracht«, so Castro. Und in die DDR.
Freiwilligkeit
Die jüngere Geschichte Afrikas, insbesondere Angolas und Namibias, ist an vielen Punkten mit Kuba verknüpft. Und wenn der kubanische Bestsellerautor Leonardo Padura in seinen Kriminalromanen (»Havanna-Quartett«) dem querschnittsgelähmten Angola-Veteranen im Rollstuhl mit einer Flasche Rum und einem extraordinären Essen ein paar Stunden der Nostalgie und des Vergessens verschafft, beschreibt er die fürchterlichen Opfer, die mancher Freiwilliger ebendort erbrachte. Padura deutet mit der Schilderung von Tristesse und Endgültigkeit zugleich die Frage nach dem Sinn des Internationalismus an. Castro gibt darauf zwei Antworten: Er hebt die Freiwilligkeit der Entscheidung des einzelnen hervor, und er verweist auf die historische Dimension von dessen Handeln.
»Mehr als 300.000 Kubaner meldeten sich freiwillig, als dieser Kampf begann. Nach Angola gingen nur Freiwillige, hier nennen wir sie die Reserve. Das war ein unumstößliches Prinzip. … Woanders wurde nicht mit Freiwilligen gekämpft, was teuer bezahlt wurde, denn es ist ein Naturgesetz, daß, wer kämpft, getötet werden kann«, so Fidel Castro. Der Beitrag der Internationalisten sei »entscheidend« gewesen, »um die Unabhängigkeit Angolas zu festigen und die Namibias im März 1990 zu erreichen. Sie muß außerdem als ein bedeutender Beitrag zur Befreiung Simbabwes und zum Verschwinden des verhaßten Apartheidregimes in Südafrika gewertet werden.«
2.077 Internationalisten von der Karibikinsel starben in Angola. Die letzten der kubanischen Soldaten seien 1991 zurückgekehrt, und brachten »nichts weiter mit als die Freundschaft des angolanischen Volkes, die Waffen, mit denen sie Tausende von Kilometern von ihrer Heimat entfernt gekämpft hatten, die Genugtuung über die erfüllte Pflicht und die sterblichen Überreste unserer gefallenen Brüder«. 1991 besuchte der im Jahr zuvor freigekämpfte Nelson Mandela Kuba. In Matanzas ging er vor Zehntausenden am 26. Juli 1991 – dem kubanischen Revolutionstag – auf die Bedeutung der den Angola-Krieg entscheidenden Schlacht von Cuito Cuanavale 1988 ein: »Cuito Cuanavale war der Wendepunkt im Kampf der Befreiung des Kontinents und unseres Volkes von der Plage der Apartheid« – die in Folge des Sieges erreichte Unabhängigkeit Namibias »eine Inspiration« für den Befreiungskampf innerhalb Südafrikas.
Unabhängig von Moskau
Die Entscheidung, der Bitte der angolanischen Befreiungsbewegung MPLA und dessen Präsidenten Agostinho Neto nachzukommen, fiel im November 1975, als südafrikanische Truppen vor Luanda standen – und zwar im Alleingang Havannas. Von wegen »Marionette der UdSSR«: Kuba informierte die sowjetischen Verbündeten nicht. Diese versorgte die Befreiungsbewegung später zwar mit Waffen und spielte insofern eine unersetzliche Rolle im Kampf gegen die von USA, Südafrika und Zaire unter Diktator Mobuto Sese Seko gestützten Söldnerheere. Allerdings setzte Moskau später auch – besorgt »wegen möglicher Reaktionen der Yankees« (Castro) – einen schnellen Abzug der kubanischen Internationalisten durch.
Mit dem Ende des europäischen Sozialismus, der auch vom Niedergang und schließlichen Verschwinden des internationalistischen Handelns geprägt war, verschwanden auch die Gestaltungsspielräume für einen vom Postkolonialismus unabhängigen Entwicklungsweg. Die ehemaligen Befreiungsbewegungen des südlichen Afrika fügten sich nach und nach in den vom Westen verlangten Pragmatismus, die Mitgliedschaft in der sozialdemokratischen Internationale folgte als Konsequenz.
Im vergangenen Jahr besuchte Kubas Präsident Raúl Castro seine ehemaligen Freunde in Algerien, Angola, Namibia – in Luanda war er gleich zweimal innerhalb von sechs Monaten. Es existieren mittlerweile beachtliche Handelsverträge, und die Bekundungen gegenseitiger Solidarität im Kampf gegen das antikubanische US-Embargo gehört zu den Selbstverständlichkeiten der neuen Gegenseitigkeit. Das Selbstbewußtsein wächst. Daß Kubas Internationalismuskonzept heute viel mit dem erreichten, weltweit für ein Drittweltland einmaligen Niveau im Bereich des Gesundheits- und Bildungswesens zu tun hat, ist allgemein bekannt.
Solidarität heute
Und wir Internationalisten, die nun schon seit zwanzig Jahren in einem imperialistischen, also kriegerischen Land leben? Angesichts der »in noch größerem Ausmaß« geführten Kriege der USA und deren Verbündeter nach Vietnam reflektierte jW-Autor Knut Mellenthin vor einigen Monaten über den – unter anderem im Ostkongo 1965 und in Bolivien 1967 – gescheiterten Kampf von Ernesto Che Guevara und dessen Aufruf »Schafft zwei, drei, viele Vietnam«.
Die »konkreten Formen des antiimperialistischen Abwehrkampfes in Pakistan, in Afghanistan, im Irak«, schrieb Mellenthin, würden natürlich »nicht zu einer bequemen politischen Solidarisierung unter Sprechchor-kompatiblen Parolen« anregen. Doch stelle das »weder eine Entschuldigung noch eine Rechtfertigung dafür dar, keine adäquaten Proteste zu entwickeln oder die globale NATO-›Counterinsurgency‹ ( Aufstandsbekämpfung, d.R.) nur beiläufig als ein Thema unter vielen anderen zu behandeln« – erst recht nicht und anders als in den 1960er Jahren, wo der Krieg in Afghanistan ganz ausdrücklich auch »im deutschen Namen« geführt wird (jW, 4.11.2009).
Geschichte vollzieht sich unabhängig vom eigenen Denken. Ob jemand bemerkt, was um ihn herum geschieht, beeinflußt den Lauf der Dinge nicht. Wenn jemand aber tatsächlich erkennt, daß er Geschichte erlebt, kann das sein Handeln beeinflussen. Damals vor zwanzig Jahren, als die namibischen Kinder nach Windhoek flogen, stand das internationalistische Konzept des Antiimperialismus zur Disposition. Seitdem sind 20 Jahre vergangen. Das Schloß in Bellin befindet sich längst wieder im Besitz der Familie Sloeman. Die machte ihr Geschäft Ende des neunzehnten Jahrhunderts mit Salpeter aus Chile.
Gerd Schumann leitet das Auslandsressort der jungen Welt.
Gerd Schumann
Junge Welt, 21.07.2010
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