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Dem revolutionären Charme konnten wir uns nicht entziehen
Ver.di plant die Aufnahme offizieller Beziehungen zu den kubanischen
Gewerkschaften
Die Ver.di-Delegation mit Rainer Döring, Gerd
Buddin, Ulrike Haase und Annette Grätz (v. l. n. r.) auf der
Demonstration am 1. Mai in Havanna
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Der 1. Mai 2010 in Havanna war nichts für Langschläfer. Pünktlich um 8 Uhr begann auf dem Platz der Revolution mit Viva-Rufen auf Fidel und Raúl die für unsere Delegation beeindruckende Demonstration. Unsere Gruppe bestand aus Annette Grätz, Ulrike Haase, Rainer Döring und Gerd Buddin von der Arbeitsgemeinschaft Internationales der Gewerkschaft Ver.di des Bezirkes Berlin. Steffen Niese von Cuba Sí begleitete unsere Delegation und stand uns mit viel Sachkenntnis über Kubas Geschichte und das Alltagsleben zur Seite. Diese Manifestation war ganz anders als das, was wir vom 1. Mai aus Deutschland kennen, und wir konnten uns dem revolutionären Charme der Demonstration nicht entziehen. Uns beeindruckte dabei besonders die Vielfalt und Buntheit sowie das Temperament der Demonstrierenden, die auf Plakaten und Transparenten die antikubanische Medienkampagne der
USA und der EU gegen ihr Land verurteilten und die sozialen Errungenschaften ihrer Revolution mit Sprechchören verteidigten.
Am folgenden Tag fand nach dieser eindrucksvollen Demonstration von
über 500 000 Menschen ein nicht minder beeindruckender
internationaler Solidaritätskongress statt. Die Botschaft des
Kongresses, die die Vertreter aus 56 Ländern an das kubanische Volk
sendeten, lautete: Kuba steht in der Bewältigung seiner Probleme
nicht allein. Vor allem die Repräsentanten lateinamerikanischer
Staaten bekräftigten diese Haltung gerade auch vor dem Hintergrund
der politischen Linksentwicklung der letzten Jahre in Mittel- und
Südamerika. Der kubanische Parlamentspräsident Ricardo Alarcón de
Quesada betonte auf dieser Veranstaltung, dass Solidarität aber keine
Einbahnstraße sein kann.
Davon konnten wir uns bei einem Besuch in der Lateinamerikanischen
Hochschule für Medizin (Escu ela Latinoamericana de Medicina – ELAM)
überzeugen. Dort studieren derzeit über 3 200 junge Menschen aus mehr
als 50 Ländern kostenlos. Die fast ausschließlich aus armen
Verhältnissen stammenden Studenten werden zunächst zu
Allgemeinmedizinern ausgebildet und können sich anschließend
spezialisieren und zu Fachärzten ausbilden lassen. Nach Abschluss
ihres Studiums werden sie in ihre Heimatländer zurückkehren, um dort
medizinische Hilfe zu leisten und beim Aufbau eines
Gesundheitssystems zu helfen ("revista" 1/2010).
Das politische Ziel unserer Reise bildete die Umsetzung der auf dem
zweiten Bundeskongress von Ver.di mit überwältigender Mehrheit
angenommenen Anträge zur Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen
den kubanischen Gewerkschaften und der Vereinten
Dienstleistungsgewerkschaft. Besonderes Augenmerk galt vor diesem
Hintergrund vor allem der Frage, welche Einzelgewerkschaften in Kuba
als potentielle Kooperationspartner zur Verfügung stehen. Dies war
eine Bitte des Ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske.
Im Laufe unserer Reise wuchs bei uns weiter die Überzeugung von der
Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens. In den Gesprächen, die wir sowohl
mit Funktionären als auch Gewerkschaftsmitgliedern bei unserem Besuch
im Kinderkrankenhaus Juan Manuel Márquez, bei unserer Visite in der
ELAM oder bei Sozialarbeitern der Stadt Havanna hatten, zeigte sich,
dass die kubanischen Kollegen uns viel zu sagen haben. Ein
gegenseitiger Erfahrungsaustausch auch über ideologische Grenzen
könnte überaus wünschenswert und konstruktiv sein.
Abgesehen von dieser politischen Mission, die wir hatten, ging es
uns bei unserer Reise auch dar um, die kubanische Realität
kennenzulernen, die unsere Medien gewollt verschweigen. Bestes
Beispiel für diese Medienpolitik ist die fehlende Berichterstattung
über die völkerrechtswidrige US-Blockade, die die Menschenrechte des
kubanischen Volkes elementar verletzt. Denn obwohl für das
Gesundheitswesen in Kuba zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes
(BIP) ausgegeben werden, leidet gerade dieser Bereich unter der
Blockadepolitik der USA. Auch mit größter Fürsorge des medizinischen
Personals gelingt es nicht immer, den Patienten die notwendige
Behandlung zuteil werden zu lassen, da viele Medikamente aufgrund der
Blockadebestimmungen nicht zu bekommen sind. Zwar kann Kuba in
einigen Fällen diese Medizinprodukte auch in anderen Staaten
beziehen, dann aber zu weit höheren Preisen. Besonders traurig war es
für uns zu hören, dass dabei auch deutsche Firmen und Pharmakonzerne
aus der Not Kubas noch Gewinn schlagen und ihre Präparate nur zu
stark überteuerten Preisen verkaufen. Eine Politik also, die auf
Kosten der Menschen geht.
Auch über die gesellschaftliche Situation im Land wurden wir
informiert, und bei einem Treffen mit Vertretern der 2 500
Sozialarbeiter der Stadt Havanna wurden uns die sozialen Probleme des
Landes nahegebracht sowie die Maßnahmen geschildert, die zur Lösung
der Problematik beitragen sollen. Zwar sind unsere Gesellschaften
nach wie vor sehr verschieden, die kubanischen Sozialarbeiter haben
aber im Grundsatz mit den gleichen Problemen wie ihre deutschen
Kollegen zu kämpfen; damit besteht auch auf diesem Gebiet eine gute
Basis für einen fruchtbringenden Erfahrungsaustausch.
Beeindruckend war auch das Treffen mit der Rechtsanwältin Nuri
Piñeiro, die neben anderen Anwälten die Cuban Five vertritt. Sie
schilderte die Tricks, mit denen die US-amerikanische Justiz
versucht, die fünf Gefangenen, die Terroranschläge auf Kuba vom US-
amerikanischen Territorium aus verhindern wollten, weiterhin in
Gefangenschaft zu halten. Hierbei gilt die bekannte deutsche
Erfahrung: Du kannst recht haben, aber ob du Recht bekommst,
entscheidet die Politik – und in diesem Fall wohl der Hass auf die
kubanische Revolution.
Den Abschluss dieser arbeitsreichen Woche bildete für die Delegation
der Besuch bei der Nichtregierungsorganisation ACPA (Kubanische
Vereinigung für Tierproduktion). Dort konnten wir am konkreten
Beispiel die Unterstützung von mehr als 30 internationalen
Organisationen für die Realisierung von Projekten in der
Landwirtschaft mit eigenen Augen betrachten. Erfreulich war für uns
auch, dass mit Cuba Sí eine deutsche Organisation dabei entscheidende
Aufbauarbeit leistet.
Am Schluss der Reise waren sich alle Delegationsmitglieder einig,
dem Ver.di-Bundesvorstand als Ergebnis des Besuches vorzuschlagen,
unverzüglich Verhandlungen über die Aufnahme offizieller Kontakte mit
den kubanischen Gewerkschaften als Bestandteil der weltweiten
Gewerkschaftsbewegung zu beginnen. Wir werden uns jedenfalls für
dieses Ziel weiterhin einsetzen und haben in Kuba viele neue Freunde
gewonnen, die für die Rechte der arbeitenden Menschen kämpfen.
Gerd Buddin, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Ver.di,
Bezirk Berlin
Cuba Sí revista 2-2010
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