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"Von Mangelwirtschaft ist nichts zu bemerken"
Bericht eines Brigadisten: Die Versorgungslage auf Kuba ist gut, junge Leute vermissen aber Konsumwaren, Gespräch mit Bernd Zimdahl
Sie waren kürzlich mit einer Solidaritätsbrigade in Kuba. Welche Unterstützung ist dort zur Zeit gefragt und was hat sich wirtschaftlich verändert ?
Wir waren in einem Camp in José Martí, etwa eine Stunde von Havanna entfernt. Mit den Kubanern zusammen haben wir landwirtschaftliche Arbeit auf Feldern verrichtet, zum Beispiel Unkraut jäten und Mangobäume pflanzen. In dieses Camp kommen ständig internationale Brigaden, um bei der Arbeit zu helfen. Im Juli waren wir Europäer dran, als nächstes kommen Solidaritätsgruppen aus Südamerika und anschließen Gruppen aus Osteuropa. Es sind immer etwa 100 bis 200 Leute dort, dazu die Bauern aus Kuba. Ein Teil der Ernte geht ans Camp, was übrig bleibt, wird auf dem Markt verkauft.
Die Kubaner freuen sich über diese Unterstützung. Es gibt in den Hallen immer gerade das Obst und Gemüse, was in der entsprechenden Jahreszeit wächst – während wir da waren, gab es erst Mangos, dann Avocados. Die Wochenmärkte sind voll mit Obst, Gemüse und Fleisch; die landwirtschaftlichen Produkte sind günstig und mit Pesos zu bezahlen. Von der vermeintlichen Mangelwirtschaft, von der in deutschen Zeitungen und im Fernsehen häufig die Rede ist, ist in dieser Hinsicht wirklich nichts zu bemerken.
Hat sich die Versorgungslage der Bevölkerung also in den vergangenen Jahren verbessert – und wenn ja, in welcher Weise?
Seit ich vor fünf Jahren da war, hat sich einiges verändert. In Havanna gibt es Internetcafés, man kann dort problemlos alle Seiten aufrufen und sich über die Welt informieren. Der öffentliche Busverkehr ist weiterentwickelt – es gibt nahezu überallhin gute Verbindungen und nagelneue Tankstellen wurden eröffnet. Allerdings muß man sagen, daß sich der ökonomische Fortschritt nicht in allen Bereichen nur positiv bemerkbar macht. Es gibt neuerlich zunehmend Fast-Food-Stände amerikanischen Stils in Havanna: Mit Hot Dogs, Cola und Pizza in Havanna – die Kubaner ernähren sich demzufolge ungesünder als zuvor.
Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?
Insgesamt gut – allerdings sind junge Leute mitunter unzufrieden. Sie wollen mehr Luxusgüter, Handies und Computer, besitzen aber kein Geld für die Anschaffung. In Havanna gibt es riesige Einkaufszentren, in denen aber nur mit CUC bezahlt werden kann; das ist der Ersatz für die ehemalige Dollar-Währung. Ein CUC ist etwa einen Euro wert. Der normale Kubaner, der keine Kontakte ins Ausland hat, erhält keinen Zugang zu dieser Währung. Damit kann man jedoch Waschmaschinen, Farbfernseher, Videorecorder und vieles andere kaufen. Die jungen Leute sehen diese Produkte in den alten, noch in der DDR oder Sowjetunion produzierten Fernsehern, die in so manchen Dörfern 20 Stunden lang nonstop laufen und wollen das alles auch haben, können es sich aber nicht leisten.
Wie wirkt sich die ökonomische Liberalisierung aus – gibt es mittlerweile so etwas wie einen Mittelstand?
Viele private Restaurants haben eröffnet. Es wird nicht mehr nur für den Staat gearbeitet, Leute können eingestellt werden. Das ist neu. Allerdings ist die Frage, inwiefern sich das trägt. Kubaner arbeiten im Regelfall eher langsam. Sie sagten uns, wir sollten nicht so viel arbeiten: „Morgen ist auch noch ein Tag!“ Die Leute werden dabei aber sehr alt und bleiben gesund. Einige kubanische Arbeiter bei uns im Camp waren 70 oder sogar 80 Jahre alt.
Reden die Leute noch begeistert über den Kommunismus?
Jüngere Leute sind unseren Fragen ausgewichen – wenn sie antworten war eher vom Sozialismus die Rede. Ältere Leute hingegen erinnern sich an Che Guevara und die kubanische Revolution und sind stolz darauf, was sie geschaffen haben: Anders als in Kolumbien und Peru gibt es in Kuba zum Beispiel keine Kinder, die als Straßenverkäufer arbeiten müssen. Kubanische Kinder sind bis um drei Uhr nachmittags in der Schule. Es gibt kostenlose Gesundheitsversorgung, das Bildungssystem an Schulen und Universitäten ist gratis. Den Kubanern ist bewußt, daß in vielen südamerikanischen Ländern Menschen nicht studieren können, weil sie kein Geld haben.
Interview: Gitta Düperthal
Junge Welt, 16.08.2010
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