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Kuba vor neuen Herausforderungen


Chancen und Risiken der neuen wirtschaftspolitischen Maßnahmen

Kuba ist wieder einmal verstärkt Thema in den bürgerlichen Medien. Überall tauchen Berichte und Pressemeldungen auf, in denen vor allem über die gegenwärtige wirtschaftliche Situation und die Zukunft des sozialistischen Karibikstaates spekuliert wird. Allerdings werden dabei – wenig überraschend – in der westlichen Presse Erfolgsmeldungen wie der erst kürzlich von einer überwältigenden Mehrheit der UN-Vollversammlung angenommene kubanische Antrag zur Verurteilung der völkerrechtswidrigen US-Blockade weitestgehend ignoriert, während jedes kleinste Lebenszeichen der sogenannten Dissidenten zur vielbeachteten Schlagzeile in den Mainstream-Medien wird. Ähnlich verhält es sich auch im Falle der jüngst von der kubanischen Regierung beschlossenen Umstrukturierung der einheimischen Wirtschaft, die entweder ganz verschwiegen oder bewusst falsch bzw. nur sehr oberflächlich und einseitig dargestellt wird. Tatsache ist, dass sich Kuba momentan in einer Phase befindet, in der es um die Weichenstellung für die zukünftige Entwicklung geht; gerade deshalb ist es nötig und unabdingbar, sich differenziert und objektiv mit den derzeitigen Veränderungen der Wirtschaftspolitik zu befassen, auch, um innerhalb der mit dem kubanischen Sozialismus solidarischen Linken Fehlinterpretationen und Missverständnisse zu vermeiden.

Der ökonomische Hintergrund

Am 1. Oktober diesen Jahres sind in Kuba wirtschaftspolitische Maßnahmen in Kraft getreten, die die nationale Ökonomie stärken und langfristig effizienter und produktiver machen sollen. Zu diesen von der politischen Führung des Landes getroffenen Entscheidungen gehören eine Ausweitung des privaten Beschäftigungssektors, die Reduzierung der staatlichen Subventionen auf dem Arbeitsmarkt sowie die Stärkung der landwirtschaftlichen Produktion. Der ökonomische Hintergrund dieser Maßnahme ist die Tatsache, dass die sichtbare Erholung der kubanischen Wirtschaft nach der "Spezialperiode" zu Beginn der 90er Jahre seit einiger Zeit ins Stocken geraten ist. Zu der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation haben neben dem Fortbestehen der völkerrechtswidrigen US-Blockade in jüngster Zeit die enormen Hurrikanschäden des Jahres 2008 sowie die Krise der Weltwirtschaft beigetragen, die vor allem den devisenträchtigen Exportsektor schwer getroffen hat. Als folge der gesunkenen Einnahmen aus dem Exportgeschäft sind auch die Einfuhren zurückgegangen und haben die nach wie vor stark von Importen abhängige Wirtschaft empfindlich geschwächt. In Anbetracht dieser Entwicklung hat die kubanische Regierung zahlreiche Beschlüsse gefällt, die das Land künftig weit unabhängiger von ausländischen Lieferungen und externen Einflüssen machen sollen.

Um dieses Ziel zu erreichen und auch, um die politische Souveränität weiterhin gewährleisten zu können, wurden vor allem die Steigerung der eigenen Produktion zur Substituierung von Importen sowie der rationalere Einsatz von Ressourcen als entscheidende Schlüsselmaßnahmen erkannt. Konkret bedeutet dies, dass die bislang nicht von den Einnahmen gedeckten staatlichen Ausgaben erheblich reduziert werden und dabei vor allem bis zu einer Million Beschäftigte des staatlichen, hoch subventionierten Beschäftigungssektors in einer neuen Tätigkeit untergebracht werden sollen. Die von diesen Umstrukturierungen und Entlassungen betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen allerdings nicht, wie es in der kapitalistischen Logik entsprechen würde, als "Reservearmee" ihrem Schicksal überlassen bleiben, sondern werden vom sozialistischen Staat zunächst in Abhängigkeit von der Anzahl der Berufsjahre bis zu fünf Monate lang ihr letztes Gehalt zu 100 Prozent weiterbeziehen und in dieser Zeit neue Arbeitsangebote unterbreitet bekommen, die eine würdige Weiterbeschäftigung gewährleisten sollen. Diese Parameter einer sozial abgesicherten Reformierung innerhalb des staatlichen Beschäftigungswesen auch in Kombination mit den nachwievor bestehenden Sozialmaßnahmen, wie dem Lebensmittelbezugsheft "Libreta", hat der amtierende Präsident Raúl Castro Ruz bei mehr al einer Gelegenheit hervorgehoben, zugleich aber betont, dass sich an erster Stelle die betroffenen Beschäftigten selbst um eine neue Arbeit bemühen sollten und der Staat nicht in der Lage sei, weiterhin einen so großen Anteil an subventionierter, aber unproduktiver Beschäftigung bereitzustellen. Und da im staatlichen Bereich die effizient arbeitenden und arbeitskräftesuchenden Unternehmen und Betriebe eher eine Ausnahme als die Regel bilden, soll ein Großteil der von den Entlassungen Betroffenen im privaten Sektor eine neue Anstellung finden. Um den Zugang zu der bisher stark reglementierten und begrenzten "Arbeit auf eigene Rechnung", wie die Privatwirtschaft in Kuba auch offiziell bezeichnet wird, zu erleichtern, wurden zum 1. Oktober zahlreiche bislang ausschließlich vom Staat kontrollierte Tätigkeiten und Verrichtungen freigegeben. So dürfen nun in 178 Berufen und Berufssparten vor allem in den Bereichen der Gastronomie, des Transportes sowie des Handwerkes Privatpersonen tätig sein. Diese Maßnahme hat die Funktion, die bislang staatlich Beschäftigten aufzufangen; zugleich soll sie auch dazu beitragen, den Staat von bisher wahrgenommenen Aufgaben zu entlasten und die bisherigen Defizite vor allem im Dienstleistungsbereich vermindern. Auch erhoffen sich die politisch Verantwortlichen durch die nun erfolgte Legalisierung zahlreicher bisher illegal betriebener Beschäftigungen Mehreinnahmen für den bisher defizitären Staatshaushalt. Eigens zu diesem Zweck wurde die Einführung eines neuen Steuer- und Abgabesystems beschlossen, das diejenigen am Stärksten belasten soll, die auch am meisten Einnahmen zu verzeichnen haben. Bislang gab es für die im privaten Bereich tätigen Personen ein eher uneinheitlichen und nicht zwingend an den Einnahmen orientiertes Gebührensystem. Neu ist auch die Tatsache, dass in einigen Berufen vor allem im Bereich der Gastronomie Angestellt, und nicht nur wie bisher, Familienangehörige beschäftigt werden können. Allerdings müssen für die in diesem Arbeitsverhältnis tätigen Personen Steuern und Sozialabgaben entrichtet werden. Durch diese Maßnahme sowie durch die Einführung einer Obergrenze an Beschäftigten soll einer unkontrollierbaren und vom sozialistischen Fürsorgesystem losgelösten Entwicklung entgegengewirkt werden. Entgegen bisheriger Regelung sollen neuerdings auch die staatlichen Kinderbetreuungsangebote den im privaten Sektor Tätigen zugute kommen.

Insgesamt soll durch diese zahlreichen Neuregelungen sichergestellt erden, dass ein Großteil der bis zum ersten Quartal des kommenden Jahres von Arbeitsplatzverlust Betroffenen möglichst rasch in den privaten Arbeitsmarkt integriert werden kann. Da es aber trotz der Bereitstellung von Krediten nicht für alle möglich sein wird, in diesem Sektor eine neue Anstellung zu finden bzw. Einen Kleinbetrieb zu gründen, soll zudem die Tätigkeit im landwirtschaftlichen Bereich attraktiver gemacht werden. Hierzu wurde bereits vor mehr al einem Jahr die Entscheidung gefällt, dass Neubauern eine Fläche von bis zu 14 Hektar zum kostenlosen Nutzen zur Verfügung gestellt wird. Und obgleich in den letzten Monaten nahezu eine Million Hektar bisher brachliegendes und ungenutztes staatlichen Landes auf diese Weise zur Bearbeitung vergeben wurde, konnten die mit dieser Neuregelung erhofften Zuwächse in der landwirtschaftlichen Produktion noch nicht erreicht werden. Denn trotz intensiver Bemühungen fehlen weiterhin tausende Arbeitskräfte in diesem vor allem für das Ziel der Importsubstitution so wichtigem Agrarsektor und die Hoffnungen sind groß, dass zumindest ein Teil der bereits oder demnächst auf Arbeitssuche Befindlichen sich in diesem Bereich engagieren wird. Zur Unterstützung dieses Vorhabens sollen in der nächsten zeit landesweit mehr als 1100 Verkaufsstellen für landwirtschaftliche Geräte, Maschinen und Werkzeuge geschaffen werden, in denen sich dann auch die neuen Landwirte mit den für die Arbeit auf dem Land notwendigen Utensilien und Hilfsmitteln ausstatten können.

Erfolgsaussichten und Risikofaktoren

Es handelt sich bei den geplanten Stellenstreichungen um staatlichen Sektor, die für viel Wirbel und Irritation gesorgt haben, also keineswegs um eine isolierte Einzelmaßnahme, sondern um einen Bestandteil eines ganzen Maßnahmenpakets, das die Wirtschaft langfristig auf sicherere und festere Säulen stellen soll. Auch sind die neuen Regelungen und Verordnungen, die die Ausweitung des privaten Beschäftigungssektors zum Ziel haben, nicht kurzfristige Zwischenlösungen oder gar spontane Einfälle, sondern vielmehr steht hinter den bislang getroffenen Entscheidungen eine geplante Strategie, die sich auf bereits gemachte Erfahrungen zu Beginn der 90er Jahre stützt. In dieser ökonomisch schwierigsten Phase der kubanischen Revolution wurde die seit den 70er Jahren weitestgehend verschwundene "Arbeit auf eigene Rechnung" wieder zugelassen und so der bis dahin omnipräsente Staat von nicht dringend notwendigen Aufgaben entlastet und für eine Gruppe der Gesellschaft eine neue Einkommensquelle geschaffen. Die nun beschlossenen Maßnahmen knüpfen an diese Politik, die Ende der 90er Jahre wieder etwas in den Hintergrund trat, an und erweitern sie nun um einige neue Aspekte, wie der nun legalen Beschäftigung von Mitarbeitern und Angestellten. Dass diese Entscheidung zugunsten der privaten Tätigkeiten heute weit mehr als eine Notlösung ist, zeigt auch die Tatsache, dass der Staat die Rahmenbedingungen für Existenzgründer mittels Krediten, Fachgeschäften und Sozialleistungen entscheidend verbessern will und somit die Hoffnung auf eine zumindest ökonomisch erfolgreiche Reform der Wirtschaftsstruktur durchaus begründet erscheinen.

Weniger eindeutig hingegen ist die Frage zu beantworten, welche Konsequenzen für die Gesellschaft von den in den nächsten Monaten wohl einsetzenden Veränderungen zu erwarten sind. Besonders wird dabei abzuwarten sein, inwieweit es gelingt, die hunderttausenden bisherigen Staatsbediensteten möglichst zeitnah wieder in eine sinnvolle Beschäftigung zu bringen. Obgleich zunächst das letzte Gehalt weiter und dem folgend aller Voraussicht nach eine Art Arbeitslosengeld in Höhe von 60 Prozent des bisherigen Einkommens gezahlt werden, dürfen die sozialen Folgewirkungen der bisher in Kuba wenig bekannten Arbeitslosigkeit nicht unterschätzt werden. Denn bisher hat der sozialistische Staat jedem Staatsbürger eine Arbeit und ein Einkommen garantiert, auch wenn dieses nicht immer zur Befriedigung aller materiellen Bedürfnisse ausgereicht hat. Nun ist bei den Arbeitsplatzsuchenden auch die Eigeninitiative des Einzelnen gefragt und es wird sich zeigen, inwieweit die dahingehenden Appelle der Politik Früchte tragen und welche Rolle die Gewerkschaften und politischen Massenorganisationen in dieser entscheidenden Phase spielen können. Ein weiterer Faktor, der das bislang trotz bestehender sozialer Unterschiede noch weitgehend intakte gesamtgesellschaftliche Konstrukt aus dem Gleichgewicht bringen könnte, ist das durch Ausweitung der privaten Beschäftigungsverhältnisse bedingte mögliche Entstehen einer neuen Oberschicht. So stellen schon heute die in diesem Sektor Tätigen einen Großteil der Schicht der Besserverdienenden dar und haben mit ihrem überdurchschnittliche hohen Einkommen bereits jetzt zu einer Ausdifferenzierung der zuvor relativ egalitären Gesellschaft beigetragen. Einen positiven Effekt dürfte dabei allerdings das vor kurzem beschlossene Steuer- und Abgabensystem haben, mit dem der Staat die Subventionen für die einkommensschwächeren Schichten auch perspektivisch absichern will.

Fazit und Perspektiven

Jedoch unabhängig davon, ob und wieweit sich ökonomische Erfolge einstellen und wie sich die Sozialstruktur der kubanischen Gesellschaft weiterhin entwickeln wird, bleibt festzuhalten, dass mit den angekündigten und zum Teil schon realisierten Reformen ein Weg eingeschlagen wird, der zwar nicht ganz neu ist, aber in dessen Konsequenz es durchaus zu tiefgreifenden Veränderungen in der sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung kommen könnte. Dass Veränderungen vor allem in der Ökonomie dringend nötig sind, hat die politische Führung des Landes längst erkannt und seit längerem wurden offene Diskussionen darüber geführt, wie die Effizienz und Produktivität der Staatsbetriebe gesteigert, der Staatshaushalt entlastet, die Arbeitsmoral erhöht und die nicht zu unterschätzende Korruption und Unterschlagung vermindert werden können. Letztlich ist man zu dem Schluss gelangt, dass sich der Staat künftig nicht mehr um alle Belange der Bürger kümmern muss und die daraus sich ergebende kontrollierte Öffnung für die Privatwirtschaft zudem noch eine Verbesserung der bislang häufig mangelhaften Dienstleistungsangebote mit sich bringen würde. Auch wenn es nun gestattet wird, als privater Unternehmer bis zu zwölf Angestellte zu beschäftigen und bislang vom Staat betriebene Geschäfte nun nicht mehr durch die öffentliche Hand verwaltet werden, sollte in keinem Fall von einer Privatisierung oder gar von einem Ausverkauf der Revolution gesprochen werden. So soll auch in Zukunft die Wirtschaft nach planwirtschaftlichem Modell organisiert sein und die großen Betriebe und Unternehmen sollen in Volkseigentum verbleiben. Die sozialen Errungenschaften und die politische Ordnung stehen ebensowenig zur Diskussion, sondern vielmehr sollen durch die eingeleiteten Wirtschaftsreformen die drängendsten Probleme des Landes wie die Importabhängigkeit, das niedrige Gehaltsniveau und die Existenz zweier Währungen gelost werden, um den kubanischen Sozialismus auch langfristig zu erhalten. Und vielleicht gelingt es bei diesen Bemühungen ja auch noch, einige neue wichtige Erfahrungen zu sammeln, die für die Frage nach Organisierung der Wirtschaft in zukünftigen sozialistischen Gesellschaften von Bedeutung sein könnten.

Steffen Niese
Marxistische Blätter 6-10
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