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Ohne Demokratometer
Streit über Kuba bei Amerika-Gipfel in Trinidad und Tobago. Venezuela kündigt an, Abschlußerklärung zu
blockieren. ALBA-Gipfel beschließt gemeinsame Währung.
Der noch bis Sonntag in Port of Spain, der Hauptstadt des Karibikstaates Trinidad und Tobago, tagende
Amerika-Gipfel droht zu scheitern. Noch bevor Staatschefs wie US-Präsident Barack Obama, Nicaraguas
Präsident Daniel Ortega für die Staaten Mittelamerikas oder die argentinische Regierungschefin
Cristina Fernández im Namen Südamerikas das Wort ergriffen, hatte Venezuelas Präsident Hugo
Chávez angekündigt, daß sein Land die vorgesehene Abschlußerklärung des Treffens
blockieren werde.
Chávez krtitisierte schon die Eingangspassage der Erklärung, die mit den Worten "Wir, die
demokratisch gewählten Staatschefs von Amerika..." beginnt. Damit solle ausgesagt werde,
daß die Regierung Kubas, das als einziges Land der Region nicht zu dem Treffen eingeladen ist, nicht
demokratisch sei. "Wo gibt es mehr Demokratie: in den USA oder in Kuba?" fragte Chávez und fuhr
fort: "Wer besitzt den Demokratometer? Ich habe keinen Zweifel daran, daß in Kuba mehr
Demokratie herrscht als in den USA!" Die Erklärung stehe vollkommen zusammenhanglos im Raum,
"als wenn die Zeit nicht vergangen wäre".
Auch die 1.000 Teilnehmer des parallel zu dem offiziellen Treffen stattfindenden vierten "Gipfels der
Völker" kritisierten den Entwurf der Abschlußerklärung als "bürokratisch",
weil sie nicht einmal auf die drängensten Probleme der Gegenwart eingehe. Die Teilnehmer erinnerten
daran, daß die Staatschefs auf dem Gipfeltreffen eine Region vertreten, in der 96 Millionen Menschen
Opfer verschiedener Formen von Diskriminierung sind und rund 22 Millionen Jugendliche keine Schule
besuchen können. Diese dramatischen Zahlen seien noch immer eng mit den neoliberalen Wirtschaftsrezepten
verbunden, die von den meisten Regierungen lange Zeit verfolgt wurden.
Ein weiterer Streitpunkt unter den vertretenen Staatschefs ist das Verhältnis zu Kuba, dessen
Mitgliedschaft in der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) seit 1962 "suspendiert" ist. In
einem Artikel, der in mehreren Zeitungen in den USA und Lateinamerika veröffentlicht wurde, weist
Obama die Forderung nach einer Teilnahme Kubas an den Amerika-Gipfeln zurück: "Jedes unserer
Länder hat seinen eigenen demokratischen Weg eingeschlagen, aber wir müssen vereint sein in
unserem Bekenntnis zu Freiheit, Gleichheit und Menschenrechten. Deshalb erwarte ich den Tag, an dem alle
Länder der Hemisphäre entsprechend der Interamerikanischen Demokratie-Charta ihren Platz am
Tisch einnehmen können. Uns so wie die Vereinigten Staaten dieses Ziel bei ihrer Annäherung an
das kubanische Volk verfolgen, hoffen wir, daß alle unsere Freunde in der Hemisphäre sich uns
anschließen, um Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte aller Kubaner zu unterstützen".
Die passende Antwort auf diese in Obamas typischem freundlichen Stil vorgetragene Unverschämtheit kam
prompt vom bolivianischen Präsidenten Evo Morales. Er nutzte seine Ansprache beim Gipfeltreffen der
Bolivarischen Alternative für die Völker unseres Amerikas (ALBA) am Donnerstag im venezolanischen
Cumaná, um sich zu einem "Marxisten-Leninisten, Kommunisten, Sozialisten" zu erklären und
forderte die OAS auf, nun auch ihn auszuschließen: "Kuba wurde ausgeschlossen, weil es
leninistisch, marxistisch, kommunistisch ist. Ich kann nicht glauben, daß man aus der OAS
ausgeschlossen wird, weil man Marxist-Leninist ist". Unmittelbar darauf dankte der kubanische
Präsident Raúl Castro seinem bolivianischen Amtskollegen für die Geste und fügte hinzu,
Kuba und Bolivien könnten ja gemeinsam unter irgendeinem Namen eine andere Organisation gründen
und alle anderen einladen, dort beizutreten.
Auch über solche Solidaritätsbekundungen hinaus hatte der ALBA-Gipfel konkrete Ergebnisse
vorzuweisen. Mit dem in der Karibik gelegenen Kleinstaat St. Vincent und die Grenadinen wird das siebte
Land Mitglied der Bolivarischen Alternative. Der Premierminister des Inselstaates, Ralph Gonsalves, der
als Gast an dem Gipfel teilnahm, erklärte, sein Land sei bereit und habe alle Schritte für einen
Beitritt unternommen. Jetzt müßten nur noch "einige Dokumente ausgetauscht" werden,
damit das Land offizielles Mitglied werde.
Die bisherigen ALBA-Mitglieder – Venezuela, Kuba, Bolivien, Nicaragua, Honduras und Dominica –
unterzeichneten auf dem Gipfel auch den Beschluß zur Einführung einer gemeinsamen regionalen
Währungseinheit, des Sucre. Der zunächst nur als Verrechnungseinheit geplante Sucre war im
vergangenen November vom letzten ALBA-Gipfel beschlossen und anschließen von den Fachleuten in Form
gegossen worden.
Von André Scheer
Junge Welt, 18.04.2009
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