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»Kuba ist ein sozialistischer Rechtsstaat«
Havanna braucht sich in Sachen Menschenrechte vor keinem anderen Land zu verstecken. Noch sind aber
nicht alle Ungleichheiten aus jahrhundertelanger Kolonialzeit beseitigt. Ein Gespräch mit Gerardo
Peñalver Portal
Gerardo Peñalver Portal ist Botschafter der sozialistischen Republik Kuba in Berlin
Westliche Politiker und Medienkonzerne nehmen den Tag der Menschenrechte am 10. Dezember gerne zum Anlaß,
mit spitzem Finger auf Staaten zu zeigen, die diese Rechte angeblich mit Füßen treten. Zu den
verdächtigten Ländern gehört regelmäßig auch Kuba. Ein »Komitee zum Schutz von
Journalisten« hat Ihre Regierung jetzt beschuldigt, 21 Medienvertreter inhaftiert zu haben. Stimmt das?
Die kubanische Revolution ist 50 Jahre alt, und wir sind stolz darauf, gerade bei den Menschenrechten Enormes
geleistet zu haben. Wir sind ein sozialistischer Rechtsstaat: In meinem Land wird niemand verhaftet oder
drangsaliert, weil er eine andere Meinung als die der Regierung äußert. Es gibt nicht viele
Kubanerinnen und Kubaner, die gegen die Revolution sind – aber auch die dürfen unbehelligt ihre Meinung
äußern. Wie es auch in Europa üblich ist, wird bei uns nur derjenige bestraft, der gegen Gesetze
verstößt.
Was wird diesen inhaftierten Journalisten denn vorgeworfen?
Die Zahl 21 stimmt mit Sicherheit nicht – richtig ist allerdings, daß zumindest einige angebliche oder
tatsächliche Journalisten verhaftet und verurteilt wurden, weil sie die von den USA ausgehenden
Terroraktivitäten oder die Blockadepolitik der US-Regierung unterstützt haben. Sie wurden dafür
von der Interessenvertretung der USA in Havanna sogar bezahlt. Auch die deutsche Justiz würde nicht anders
handeln, wenn sich ein Bundesbürger von einer fremden Macht dafür bezahlen ließe, Terror und
ähnliches zu unterstützen.
Wir behaupten gar nicht, daß in der Frage der Menschenrechte bei uns schon alles perfekt sei, darüber
wird auch offen geredet. Wir kooperieren in dieser Hinsicht eng mit den Vereinten Nationen – im Februar zum
Beispiel werden wir dem UN-Menschenrechtsrat einen Rechenschaftsbericht zu diesem Thema vorlegen. Wir haben auch
einige Sonderberichterstatter der UN eingeladen, um sich an Ort und Stelle ein Bild zu machen. Von 26
internationalen Menschenrechtsabkommen haben wir schon 15 ratifiziert – mehr als die USA!
Völkerrechtlich verbindliche Abkommen sind das eine – das andere ist, ob sie eingehalten werden. Sie
sprachen davon, daß noch nicht alles perfekt ist. Welche Defizite sehen Sie?
Auch nach 50 Jahren Revolution ist es unmöglich, alle Ungleichheiten zu beseitigen, die in jahrhundertelanger
Kolonialzeit und in über 50 Jahren neokolonialistischer Drangsalierung durch die USA entstanden sind. Kuba
ist immer noch ein unterentwickeltes Land, das seit einem halben Jahrhundert durch die US-Regierung
wirtschaftlich blockiert und militärisch bedroht wird.
Trotz aller Anstrengungen haben wir zum Beispiel immer noch einiges im Bereich der Gleichberechtigung von Mann
und Frau zu tun. Frauen haben theoretisch bei uns dieselben Möglichkeiten wie Männer – im
häuslichen Bereich ist es aber vielfach immer noch so, daß alle Arbeit an ihnen hängenbleibt.
Darunter können natürlich Ausbildung und berufliche Weiterentwicklung leiden. Auch bei der
Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung gibt es immer noch Defizite – 50 Jahre Revolution können
nicht die Folgen von 500 Jahren Unterdrückung restlos beseitigen. Gesetze ändern leider nicht
automatisch auch die Mentalität der Menschen.
Gibt es immer noch Beispiele für Diskriminierungen von Schwarzen?
Schwarze sind in den intellektuellen Eliten des Landes immer noch unterrepräsentiert. Die Schwarzen kamen
bis zur Revolution in der Regel aus sehr bescheidenen Einkommensverhältnissen, hatten daher auch weniger
Zugang zur Bildung. Bis heute haben wir daran sehr viel geändert – aber mit den Ergebnissen sind wir immer
noch nicht zufrieden. Wir müssen uns weitergehende Ziele setzen, wir sind schließlich ein
sozialistisches Land.
Und wie steht es mit der Pressefreiheit?
Auch damit sind wir nicht zufrieden. Vor einigen Monaten gab es einen Schriftsteller- und Künstlerkongreß,
auf dem darüber diskutiert wurde, daß unsere Medien stärker auf gesellschaftliche Probleme
eingehen müssen. Etwa auf die mangelnde Effizienz mancher Betriebe und Einrichtungen. Die Medien
müssen offener werden.
Es wird bei uns auch darüber debattiert, wie wir unsere Demokratie verbessern können. Es gibt einige
gute Ansätze dazu – etwa, indem eine Diskussion in der gesamten Gesellschaft über Defizite in der
Sozialgesetzgebung stattfand. Daran waren Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Parteigruppen und
andere Gremien beteiligt. Bei weiteren landesweiten Konsultationen geht es um die Verbesserung unserer
Landwirtschaft oder um das Rentenalter.
Alles in allem sind wir stolz darauf, was wir erreicht haben. Kuba gehört zu den 47 Staaten, die den
Menschenrechtsrat der UN bilden – das ist auch ein Zeichen der Anerkennung dafür, in welchem Maße wir
bei uns die Menschenrechte respektieren.
Westliche Medienkonzerne sehen das anders – sie picken sich immer gerne Einzelbeispiele heraus, um sie zu
verallgemeinern. Pünktlich zum 60. Jahrestag hat jetzt die Organisation »Reporter ohne Grenzen« den
angeblich seit einigen Jahren inhaftierten Kubaner Ricardo Gonzáles Alfonso zum »Journalisten des Jahres«
ernannt ...
Kampagnen zugunsten »unabhängiger« Journalisten, die im Gefängnis sitzen, gab es immer wieder.
Vielleicht haben sie mal Beiträge für die antikubanische Exilpresse in Miami geschrieben oder
westlichen Nachrichtenagenturen gegen Geld die gewünschten Informationen geliefert – und schon sind sie
Journalisten.
Ich wiederhole: Niemand kommt bei uns nur deswegen ins Gefängnis, weil er kritische Artikel schreibt. Die
sogenannten Dissidenten können sich frei äußern und sich auch mit ausländischen
Korrespondenten und Diplomaten treffen. Wer allerdings mit den USA kooperiert und damit deren Blockadepolitik
unterstützt, bekommt es mit der Justiz zu tun.
Es gibt ein berühmtes Beispiel. Wir hatten in den 60er Jahren einen angeblichen Schriftsteller, der
allerdings in Terrorakte verwickelt war, Armando Valladares hieß er. Nachdem er ins Gefängnis kam,
wurde er von den USA als Regimeopfer aufgebaut. Valladares setzte noch eins drauf, indem er behauptete, er sei
gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen – worauf westliche Regierungen vehement aus humanitären
Gründen seine Freilassung forderten. Das Dumme für ihn war, daß er in seiner Zelle heimlich bei
seiner täglichen Gymnastik gefilmt worden war. Er war keineswegs gelähmt, sonder topfit. Er wurde
schließlich unter der Bedingung freigelassen, daß er die letzten Meter zum Flugzeug, das ihn in die
USA bringen sollte, zu Fuß geht. Und siehe da: Er konnte plötzlich laufen wie jeder andere.
Die Menschenrechte müssen also herhalten, um die Existenz einer Opposition zu suggerieren?
Andere Mittel haben die USA nicht mehr. Sie können ja beispielsweise nicht behaupten, daß Kuba die
internationale Sicherheit gefährdet – kein einziger unserer Soldaten ist in einem fremden Land. Auf der
anderen Seite aber sind 50.000 Kubanerinnen und Kubaner in mehr als 100 Staaten als Ärzte, Pflegepersonal,
Lehrer, Sporttrainer oder Ingenieure eingesetzt – was sich allerdings schlecht dafür eignet, uns als Gefahr
für die Menschheit abzustempeln.
Was wissen Sie über die »Reporter ohne Grenzen«?
Es ist nachgewiesen, daß diese Organisation von der CIA gegründet wurde und weiterhin von ihr
finanziert wird. Ihr Chef Robert Ménard ist CIA-Agent. Diese Organisation ist nur eines der vielen Instrumente,
mit denen die USA nicht nur Kuba, sondern auch Vietnam, China oder Venezuela diskriminieren.
Diese Kampagnen verlieren allerdings an Wirkung, Kuba ist heute nicht nur in Lateinamerika, sondern in der
ganzen Welt weniger isoliert denn je. Auch die EU mußte ihre Sanktionen aufheben.
Zu den Menschenrechten gehört schließlich an erster Stelle das Recht auf Leben. Wir haben bei
Neugeborenen eine Sterblichkeitsrate von 5,3 pro Tausend – das ist ein Wert, von dem viele kapitalistische
Länder weit entfernt sind. Unsere Einschulungsrate beträgt 99,2 Prozent, auch das sollen uns andere
Länder erst einmal nachmachen. Wir haben ein Niveau an sozialer Gerechtigkeit, das kein anderes
Entwicklungsland erreicht.
Die USA versuchen nicht nur, die öffentliche Meinung in der BRD und anderen Ländern
Kuba-feindlich zu beeinflussen. Sie mischen sich mit ihren Medien auch direkt in Kuba selbst ein…
Wir sind nur 90 Meilen von den USA entfernt, wo 1,5 Millionen Exilkubaner leben. Es werden jährlich
Dutzende Millionen Dollar für Propaganda ausgegeben – pro Woche werden damit etwa 1200 Stunden Rundfunk-
und Fernsehpropaganda direkt gegen unser Land produziert. Die USA finanzieren auch internationale Kongresse
gegen Kuba. Im April 2007 gab es einen solchen in Berlin, gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU.
Welche Rolle spielt das Internet?
Uns wird immer wieder vorgeworfen, wir würden den Internetzugang beschränken und zensieren. Es wird
aber verschwiegen, daß wir im Gegensatz zu anderen Ländern der Karibik und Mittelamerikas keinen
Zugang zu den acht Glasfaserkabeln haben, die in unserer Region verlegt sind. Und das, weil die USA uns diesen
Zugang zur Breitbandtechnologie verweigern. Bis heute haben wir nur einen sehr beschränkten Zugang
über Satellitenkanäle, was aber sehr teuer und langsam ist. Es ist also technisch und finanziell gar
nicht möglich, daß jeder Kubaner zu Hause einen Internetanschluß hat. Was aber niemanden, der
über konvertierbare Pesos verfügt, daran hindert, in eines unserer Internetcafés zu gehen. Das
können auch die sogenannten Dissidenten, die von dort aus Artikel gegen Kuba schreiben und sich dann im
Ausland als verfolgte Journalisten feiern lassen. Wir haben außerdem im ganzen Land 600 Computerklubs,
die ebenfalls Internetzugang haben.
In etwa anderthalb Jahren wird sich die Situation allerdings deutlich bessern, dann wird nämlich ein
Glasfaserkabel in Betrieb genommen, das wir gemeinsam mit Venezuela verlegen.
Interview: Peter Wolter
Junge Welt, 09.12.2008
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